»Life Beyond Earth«: Die Physik hat nichts gegen Aliens
Das Thema boomt. Fast täglich werden Sendungen ausgestrahlt, die sich mit Ufos oder Außerirdischen befassen, und es gibt wohl kaum einen Wissenschaftler mit einschlägigem Fachgebiet, der dazu noch nicht befragt wurde. Ein populärer Satz stammt von dem italienischen Physiker Enrico Fermi: »Where is everbody?«, geäußert 1950 in Los Alamos. Beim Mittagessen mit Kollegen, darunter Edward Teller, spekulierte er über die Häufigkeit bewohnter Welten – und kam zu dem verblüffenden Ergebnis, dass Aliens uns eigentlich längst kontaktiert haben müssten. Seine provokante Frage wurde als »Fermi-Paradoxon« bekannt.
Luigi Vacca, Plasmaphysiker mit einem Doktortitel vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), hat sich des Problems seines berühmten Landsmanns in einem handlichen Paperback angenommen. Sein 215-seitiges englischsprachiges Buch behandelt das Thema in 20 Kapiteln. Es ist flüssig geschrieben und enthält einige Schwarz-Weiß- und Farbabbildungen. Am Ende findet man ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie einen Index. Und wird die im Untertitel gestellte Frage (»The Fermi Paradox – Or Why We Are Still Waiting to Meet Aliens«), warum wir immer noch auf ein Treffen mit Außerirdischen warten, zufriedenstellend beantwortet?
Zunächst stellt Vacca das kurze Leben von Enrico Fermi vor – der Nobelpreisträger und Schöpfer des ersten Kernreaktors (der später den Bau der Atombombe ermöglichte) wurde nur 53 Jahre alt. Es folgt ein Abriss über das beobachtbare Universum, dessen Aufbau und Evolution – so erhält der Leser einen kompakten Überblick über die Zahl der Galaxien, Sterne und Planeten. Dies ist wichtig für Kapitel 3. Es behandelt die berühmte »Drake-Gleichung« – das Herzstück des Themas. Der amerikanische Astronom Frank Drake hat sie 1961 aufgestellt. Sie liefert eine Schätzung zur Zahl N der intelligenten Zivilisationen in der Milchstraße mit der Fähigkeit zu kommunizieren. Ist N>1, wird die Sache spannend: Wir sind vermutlich nicht allein! Drakes heuristische Formel ist ein Produkt aus sieben Faktoren. Damit ist die Marschrichtung klar.
Vacca geht die Faktoren in den folgenden Kapiteln einzeln durch: etwa die Sternentstehungsrate, den Anteil der Sterne mit Planeten, die intelligentes Leben ermöglichen, oder den Anteil der kommunikativen Zivilisationen sowie deren Existenzdauer. Die dabei jeweils verwendeten Werte beruhen auf mehr oder weniger plausiblen Annahmen aus verschiedenen Gebieten – von der Physik bis zur Biologie. Der Autor erläutert, dass in der Milchstraße etwa ein Stern pro Jahr entsteht. Generell sind seine Schätzungen eher konservativ, wobei die »weichen« Faktoren, die intelligentes Leben betreffen, schwer zu quantifizieren sind. Vacca behilft sich hier mit unterschiedlichen Szenarien, die für N zu Werten zwischen 1 und 10 führen. Was das bedeutet, spielt er in den folgenden Kapiteln anhand von Hypothesen durch. Das ist der interessante Teil des Buchs, geht es hier doch um die mögliche Auflösung des Fermi-Paradoxons: »Wo sind sie alle?«
Waren die Außerirdischen schon da oder ruhen sie noch?
Die erste von Vaccas Hypothesen ist traurig: Wir sind allein (N=1). Die folgenden gehen von N>1 aus und bieten Erklärungen, warum es noch keinen Kontakt mit Aliens gab: Zivilisationen können die Milchstraße nicht kolonialisieren (»great filter hypothesis«); die Erde ist ein galaktischer Zoo mit diskreten Besuchern; wir haben noch keine Signale entdecken können (»dark forest hypothesis«); die Außerirdischen ruhen noch (»aestivation hypothesis«); die Zivilisationen haben sich gegenseitig ausgelöscht (»berserker hypothesis«). Selbst das Multiversum wird hier bemüht. Natürlich diskutiert Vacca auch, ob Außerirdische bereits da waren, Stichwort: Ufos. Ich will hier nicht verraten, zu welchem Ergebnis er kommt.
Leider ist das Buch nicht frei von redaktionellen Fehlern – was mir bei englischsprachigen Büchern aus dem Springer-Verlag schon öfter aufgefallen ist. So lesen wir, der gebürtige Ulmer Albert Einstein sei ein »Swiss-American Physicist«. Generell gibt es ein Problem mit Namen, wie man im Index leicht feststellt: »Bruce« deWitt (statt »Bryce«), Erwin »Schrodinger« (»Schrödinger«), George »Lemaitre« (»Lemaître«), John »Von« Neumann (»von«), »Julius« Oppenheimer (»Robert«), Milan »Cirkovic« (»Ćirković«), »Rene« Descartes (René«), »Theodore« Kaluza (»Theodor«) oder »Tomoro« Totani (»Tomonori«). Seltsam ist, dass hier nach Vornamen sortiert wird, auch stimmt die Seitenzahl nicht immer.
Trotz dieser kleineren Mängel: Luigi Vacca hat ein interessantes Buch zu einem Thema geschrieben, zu dem bereits viel publiziert wurde. Die Darstellung ist verständlich und fachlich kompetent. Wer sich also über das »Leben jenseits der Erde« informieren möchte, trifft mit diesem Buch eine gute Wahl. Und sind wir mal ehrlich: Kann man ernstlich an der Existenz von intelligentem außerirdischem Leben zweifeln? Wer – nach der Lektüre dieses Buchs gut informiert – nicht auf die Ankunft der Aliens warten möchte, kann sich derweil mit Sciencefiction die Zeit vertreiben. Hier wurde wohl schon alles, was möglich ist, in Worte gefasst – und das Unmögliche noch dazu.
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