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Buchkritik zu »Machines Who Think«

Bereits im Titel steckt Stoff für ein paar grüblerische Nachmittage: "Maschinen, die denken", provokant mit dem englischen Relativpronomen "who" formuliert, das doch für Belebtes, sogar Vernunftbegabtes reserviert ist. Denken Maschinen denn?

Ja, sagt Pamela McCorduck in ihrer Nacherzählung der Geschichte der künstlichen Intelligenz (KI). Fußball spielende Roboter, Schach spielende Computerprogramme, "Such-Bots", die auf kluge Weise Datenbanken durchstöbern – das sind alles Denker.

Allerdings nutzen sie ihre künstlichen Hirne auf eigene Art. Maschinendenken kann ganz anders ablaufen als Menschendenken und trotzdem Denken sein, so das Credo der Autorin. Um das zu zeigen, entfacht sie ein Denkmaschinen-Feuerwerk: Sie hat klug beobachtet, kennt die KI-Szene (zumindest in den USA) und nimmt uns mit auf eine unterhaltsame Reise durch die Geschichte der KI-Tüftelei. Eine Reise, die für sie mit der alten Frage verknüpft ist, wie wir Wissen sammeln, mit Maschinen spielen, denkende Maschinen zu unseren Gefährten machen: Bereits der hinkende Schmied und Zeussohn Hephaistos hatte intelligente Blasebälge, die ihm aufs Wort gehorchten.

McCorduck berichtet vom Enthusiasmus der Pioniere wie des Kybernetikers Norbert Wiener (1894 – 1964) und des Mathematikers John von Neumann (1903 – 1957), auf den die Idee eines gespeicherten Computerprogramms zurückgeht; beide sahen sich durchaus in der Tradition eines Rabbi Löw (1520 – 1609), der im frühneuzeitlichen Prag den Golem erschuf. Sie erzählt von der folgenschweren Dartmouth-Konferenz 1956, bei der Marvin Minsky und andere, auch heute noch aktive Wortführer entschieden: Ein künstliches Hirn kann wie ein menschliches arbeiten, ohne notwendigerweise wie ein solches gebaut zu sein. Künstliches Denken kann also auf algorithmischem Weg funktionieren – indem ein Programm Befehle ausführt, genauer: Symbole verarbeitet. Nebenbei erklärt McCorduck auch dem technisch unwilligen Leser, wie das legendäre "Psychotherapie"-Programm Eliza (das zwar unintelligent, aber überraschend wirkungsvoll plapperte) und all die anderen Maschinchen im Inneren ticken.

Auch die Kritiker lässt sie zu Wort kommen, Joseph Weizenbaum beispielsweise, den schon der Erfolg seiner Eliza ängstigte: Offenbar seien Menschen viel zu schnell bereit, in Maschinen Intelligenz – sogar Gefühl! – zu vermuten, und deswegen sollten wir lieber die Finger von der KI lassen, um uns nicht selbst eine Falle zu stellen.

Das ist alles wunderbar durchdacht und mit Herzblut berichtet. Allerdings nicht neu: Der größte Teil des Buchs erschien bereits 1981, wurde in den USA ein Bestseller und in viele Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche ("Denkmaschinen").

Die Neuauflage hat McCorduck mit einem Nachwort versehen. Auf diesen 100 Seiten durcheilt sie das fehlende Vierteljahrhundert: Die "Eiszeit" in den 1980ern, als sich niemand mehr von denkenden Maschinen zu reden traute – zu grandios waren selbst "einfache" Projekte, wie die maschinelle Übersetzung, mitsamt den investierten Forschungsmillionen den Bach hinuntergegangen. KI galt als Hort der Hybris und der haltlosen Versprechungen, die Idee, ein künstliches Gehirn zu erstellen, als absurd. Die Forschungsförderung, auch des Militärs, versiegte.

Danach kam wieder Leben in die Eiswüste: "Deep Blue" schlug den Schachmeister Garri Kasparow; das künstliche Denken war plötzlich wieder salonfähig. Und auch die Ängste waren wieder da: Bill Joy, Erster Wissenschaftler des Betriebssysteme-Bauers Sun Microsystems, belebte passgenau vor der Jahrtausendwende auch deutsche Feuilletons, indem er vor einer Machtübernahme durch die Maschinen warnte.

All das gibt einen guten Überblick. Die Inspiration der Erstauflage hat das Nachwort aber nicht: McCorduck reiht Ereignisse aneinander, spürt jedoch den tiefer liegenden Strömungen wenig nach.

Überhaupt wirkt es verlegerisch ungeschickt, die letzten 25 Jahre als Appendix an das große Werk zu fügen. Denn in diesen Jahren hat eine Zäsur stattgefunden: Das "heroische" Zeitalter der KI – wie McCorduck es charakterisiert – ist in den meisten Labors längst abgeblasen worden. Heute spricht kaum noch jemand davon, eine intelligente Maschine schaffen zu wollen; selbst das Wort "Intelligenz" meidet man eher, um weder falsche Hoffnungen noch unnötige Ängste zu schüren.

Bis auf wenige Ausnahmen wie den Roboterbauer Hans Moravec, der vollintegrierte und gesellschaftsfähige Kunstmenschen unverdrossen für das Jahr 2050 prophezeit, ist die KI pragmatisch geworden. Sie hat sich, wie McCorduck durchaus bemerkt, in viele Teildisziplinen aufgespalten und konzentriert sich aufs Machbare: Der Fußballroboter soll den Ball treffen, der Kanalkrabbler das Leck im Rohr finden, der Suchalgorithmus das richtige Ergebnis liefern, die Wissensbasis funktionieren. "Heroische" Großprojekte werden da eher mit schiefem Grinsen angesehen, wie die Wissensbasis "CyC" des Stanford-Professors Douglas Lenat, in der das gesamte Alltagswissen eines Menschen in Form von Regeln wie "Schnee – weiß" und "Zahnarzt – gelegentlich Schmerzen" codiert werden soll, um einer Maschine dadurch menschenähnliches Wissen einzuhauchen. Pamela McCorduck aber referiert über diese seit 1994 andauernde Hamsterarbeit stoisch ohne einen Anflug von Kritik.

Auch die Hinwendung zum Körper schwingt bei ihr implizit mit, wenn sie die neuen Roboter bespricht, wird aber nicht als der Trend, der er ist, gewürdigt: Embodied AI, "verkörperte KI", ermöglicht durch die boomende Sensortechnik, lagert viele Funktionen der zentralen Steuerung in die Peripherie aus, lässt also, anthropomorph gesprochen, den Körper zu Wort kommen und entlastet den Kopf. Ein schönes Pferd, auf das McCorduck hätte aufspringen können: Schließlich ist es genau ihr Metier, den Computer nicht bloß als Werkzeug, sondern als Erkenntnisobjekt zu nutzen, wie der Mensch sich selbst sieht – denn auch in die Philosophie haben ja Diskussionen zur Körperlichkeit Einzug gefunden.

Weil sich so vieles geändert hat, wäre es vielleicht klug gewesen, ein neues Buch zu schreiben, statt einfach die neuen Entwicklungen an die alten anzuhängen. Und es ist wirklich schade, dass die Autorin, wie sie im Vorwort schreibt, nicht die Zeit fand, über die Grenzen der USA hinauszugehen. Auch in Lund, Darmstadt und Tokio werden interessante Dinge gebaut. Jedenfalls ist es inzwischen klar: "Machines who think" – dieser Satz ist an den Schläfen so grau wie viele der Pioniere der KI aus dem vergangenen heroischen Zeitalter. Heute ergänzt man den Ausspruch mit einem "nun ja, irgendwie – kind of", zieht den Laborkittel an und schraubt weiter. Das Zeitalter der großen Versprechungen ist vorbei. Und das ist gut so.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 4/2005

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