»Medien zwischen Macht und Ohnmacht«: Konstruktiv aus der Krise
Krise! Immer und überall. Aus der Ausnahme ist ein Dauerzustand geworden. Alles wird immer schlimmer. Diesen Eindruck kann man zumindest gewinnen, wenn man sich mit den aktuellen Nachrichten auseinandersetzt. Doch auch diejenigen, die über negative Entwicklungen berichten, stecken in der Krise. Vertrauensverlust in der Bevölkerung und eine von vielen Unternehmen verschlafene Digitalisierung plagen die Medienwelt. So jedenfalls der Befund von Rainer Nübel, Daniel Rölle und Nadia Zaboura in ihrem Buch.
Sie beginnen mit einer Reihe von Erfahrungsberichten, die einen detaillierten Einblick in das Berufsleben von Journalistinnen und Journalisten geben. Das Themenspektrum reicht von Konflikten in der Lokalzeitung um einen kritischen Beitrag zum Oberbürgermeister bis hin zur psychischen Belastung bei Recherchen zu Familiendramen, Mord oder sexueller Gewalt. Auch anhand eigener Erfahrungen belegt das Autorentrio anschaulich, was es bedeuten kann, journalistisch gut zu arbeiten.
Die Verantwortung, die auf Journalistinnen und Journalisten lastet, wird greifbar. Ihre Beiträge erreichen oft eine breite Öffentlichkeit, und Fehler haben mitunter weit reichende Konsequenzen. Menschen können zu Unrecht diskreditiert oder zu Tätern erklärt werden, und selbst nach einer späteren Richtigstellung wurden sie vom Gericht der öffentlichen Meinung bereits verurteilt.
Zum ohnehin schon stressigen Berufsalltag kommen neue Herausforderungen, die einen, so die Autoren kritisch, in Teilen selbstgerechten und eitlen Berufsstand zu überfordern drohen. So diagnostizieren sie drei entscheidende Problemfelder des modernen Journalismus und versuchen, neue Antworten zu entwickeln. Sie betonen, dass eine freie und qualitativ hochwertige Presse für eine funktionierende Demokratie unverzichtbar sei. Daraus folge auch die Pflicht, die eigenen Probleme anzugehen. Das Buch versteht sich somit als konstruktiver Debattenbeitrag zur Lösung der journalistischen Dreifachkrise.
Überholte Geschäftsmodelle und Vertrauensverlust
Erstes Problem: Die Digitalisierung sei munter verschlafen worden. Das Onlineangebot vieler Medien hinke hoffnungslos anderen Angeboten im Netz hinterher. Viele Formate wirkten verstaubt und würden kaum eine der neuen Partizipationsformen nutzen, die eine digitalisierte Kommunikation biete. Eine Einbindung des Publikums in die Content-Erstellung laufe nur schleppend an. Dabei liege in der Digitalisierung die große Chance, Medienproduktion zu diversifizieren und selbstreferenzielle Kreise zu durchbrechen. Ein engerer und auf Augenhöhe stattfindender Kontakt mit dem Publikum könne langfristige Bindungen entstehen lassen.
Zweitens steige der ökonomische Druck auf die Medienhäuser. Sinkende Absatzzahlen im Printbereich könnten nicht durch das Onlinegeschäft aufgefangen werden, da versäumt worden sei, dieses rechtzeitig zu monetarisieren. Die Folgen seien immer neue Einsparungen, erhöhter Arbeitsdruck und eine dadurch sinkende Qualität. Dies führe zu weiteren Umsatzeinbrüchen. Ein Teufelskreis. Dieser könne nur durch nachhaltige Investitionen gebrochen werden: in qualitativ hochwertigen Content, für den Menschen bereit sind zu bezahlen – auch online. Die Forderung nach Investitionen scheint hier vollkommen angebracht, haben doch die immer gleichen Sparmaßnahmen offensichtlich keine nachhaltigen Verbesserungen der wirtschaftlichen Situation bewirkt.
Das dritte Problem sei wohl das größte, weil am schwersten zu lösende. Die Medien erführen, so die Autoren, seit Längerem einen massiven Vertrauensverlust in der Bevölkerung. Es gebe die offen feindseligen Stimmen aus dem rechtsextremen Lager, aber mittlerweile begegneten auch große Teile der bürgerlichen Mitte den Medien mit Misstrauen. Die Gründe dafür seien vielschichtig, das Resultat verheerend. Der Journalismus verliere seine Glaubwürdigkeit und würde schrittweise delegitimiert. Darin sehen die Autoren – wohl zu Recht – eine große Gefahr für die Demokratie.
Zum Abschluss skizzieren sie zwei Wege, wie verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden könnte. Zum einen plädieren sie für eine Überarbeitung des Konzepts der Polittalkshows – weg von einer spaltenden Lagerdiskussion hin zu einer konstruktiv-fachlichen Debatte um die bestmöglichen Argumente. Zum anderen wünschen sie sich eine größere Diversifizierung bei der Programmgestaltung und der Auswahl der Medienschaffenden. Flache Hierarchien, kreative Formate und Publikumsnähe bei Berichtenden und mit Blick auf den Gegenstand der Berichterstattung seien hilfreich. Durchaus sehr sinnvolle Vorschläge – obwohl fraglich ist, ob die Triebkräfte der Aufregungsökonomie hier nicht unterschätzt werden.
Insgesamt folgt das Buch seinem Leitbild des sogenannten konstruktiven Journalismus. Es analysiert zunächst treffend die Probleme, die Medien derzeit zu bewältigen haben. Im Anschluss liefert es zudem Vorschläge, wie diesen Problemen begegnet werden kann. Ob diese Impulse zur Bewältigung der Krise beitragen können, bleibt abzuwarten. In jedem Fall sind sie und das Buch insgesamt ein fundierter, konstruktiver Debattenbeitrag, der es lohnt, erörtert zu werden. Nicht selbstverständlich in der heutigen Medienlandschaft.
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