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Buntes Sammelsurium

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kommt der Computerpionier Konrad Zuse (1910–1995) im bayerischen Hopferau unter und darf sein fortgeschrittenstes Gerät, den Relaisrechner Z4, im Mehllager einer Bäckerei unterstellen. In dieser Lage erreicht ihn ein Angebot der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, für die Nutzung der erst wieder herzurichtenden Maschine eine fünfstellige Summe in Schweizer Franken zu zahlen. Für den mittellosen Zuse ist das eine Chance, die er sich nicht entgehen lassen kann; für die Zürcher eine Gelegenheit, an eines jener Wundergeräte zu kommen, die man sich zu den Preisen der amerikanischen Konkurrenz nicht leisten könnte; und für beide Seiten ein Handel mit gewaltigen Unsicherheiten.

Nach schwierigen Verhandlungen einigt man sich auf eine Gesamtsumme von 50.000 Franken. Der Computer tut fünf Jahre lang gute Dienste. An ihm lernen frühe Meister wie Eduard Stiefel, Ambros Speiser und Heinz Rutishauser die Fertigkeit des Programmmierens. Sie begründen die Schweizer Tradition der Softwareentwicklung, die in Gestalt von Niklaus Wirth und seinen Schülern bis heute lebendig ist.

Herbert Bruderer, Technikhistoriker und Dozent im Ruhestand am Departement für Informatik der ETH, hatte diese spannende und folgenreiche Geschichte aus der Frühzeit des Computers bereits in dem Buch "Konrad Zuse und die Schweiz" (2012) aufgearbeitet. Im vorliegenden Werk bereichert er sie noch mit Originaldokumenten, die das ETH-Archiv erst kürzlich nach Ablauf der Sperrfrist freigegeben hat. Obendrein betrieb Bruderer eine sehr breit angelegte und ergiebige Recherche zur Geschichte der Rechentechnik im Allgemeinen, deren Ergebnisse er auf gewaltigen 800 Seiten darstellt. Allein das Literaturverzeichnis füllt mehr als 200 Seiten.

Computersteuerung im 19. Jahrhundert

So stöberte der Autor im Dezember 2014 in Straßburg eine seltsame mechanische Rechenmaschine auf, die sich als der "erste Prozessrechner der Welt" herausstellte. Sie diente um 1830 dem französischen Uhrmacher und Restaurator Jean-Baptiste Schwilgué (1776–1856) als Hilfsmittel zum Bau der astronomischen Uhr am Straßburger Münster. Das heute noch in Betrieb befindliche Wunderwerk, das eine seit Jahrzehnten verschlissene Vorgängerversion ersetzte, zeigt nicht nur die Tageszeit, sondern auch die Bewegungen von Sonne, Mond und Planeten getreulich an. Um die dafür nötigen Zahnräder mit manchmal mehreren hundert Zähnen hinreichend präzise zu fertigen, ließ Schwilgué die Winkel für jeden einzelnen Zahn mit seiner mechanischen Addiermasche sowohl errechnen als auch auf einen Papierstreifen ausdrucken, der seinerseits zum Einstellen der Fräsmaschine diente.

Ende 2013, um ein weiteres Beispiel zu nennen, tauchten in Zürich und Basel Exemplare eines mehr als 100 Jahre alten Geräts auf, das funktional einem Rechenschieber mit 24 Meter Skalenlänge und entsprechend hoher Ablesegenauigkeit gleichkommt. In dieser Gestalt könnte man mit der Apparatur praktisch kaum arbeiten. Dem Problem hat der Hersteller abgeholfen, indem er die Skala – entweder komplett und spiralförmig oder in mehrere Teile zerlegt – auf eine zylindrische Trommel aufwickelte. Die so konstruierten "Rechenwalzen" waren mit rund einem Meter Länge immer noch ziemlich sperrig, passten aber gleichwohl in ein Büro.

Schwierige Systematik

Bruderer beschreibt eine äußerst große Vielfalt an Rechenapparaten und versucht sie nach den verschiedensten Kriterien systematisch zu ordnen. Das misslingt: Wie sich herausstellt, haben die Maschinen praktisch nichts gemein, außer dass sie rechnen. Manche Einteilungen wirken regelrecht komisch. Wo Bruderer etwa die Rechner nach Ländern sortiert, bekommt Russland magere zwei Seiten, Liechtenstein dagegen 25, weil dort die in der Tat bemerkenswerte "Curta" (SdW 4/2004, S. 86) des österreichischen Erfinders Curt Herzstark (1902-1988) zwar nicht erfunden, aber hergestellt wurde. Vor allem aber erzählt Bruderer viele Geschichten mehrfach, und zwar einmal unter jedem Einteilungskriterium und dann noch einmal in diversen Tabellen, was das Werk unnötig aufbläht. Da hätte man lieber mehr über die Funktionsweise dieses oder jenes Geräts erfahren.

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