Autor versus KI
Bereits 1966 entwickelte der Informatiker Joseph Weizenbaum das KI-Programm ELIZA, das eine psychotherapeutische Sitzung simulierte. Der Benutzer war in der Rolle des Patienten und unterhielt sich mit dem Computer über seine Gefühle. Die Wirkung war beängstigend, denn nicht wenige Menschen hielten den Algorithmus tatsächlich für verständnisvoll. Man mag einwenden, diese Geschichte sage mehr über die Psychologie des Menschen aus als über den damaligen Stand der KI-Forschung. Doch bei der Lektüre von Daniel Kehlmanns kurzer Erzählung über seine Begegnung mit der Software CTRL drängt sich dieser Vergleich auf.
Ein Experiment mit Daniel Kehlmann
Der Staat Österreich unterhält eine eigene Vertretung im kalifornischen Silicon Valley, genannt »Open Austria«. Die Vertreter dieser Institution luden den bekannten Schriftsteller Daniel Kehlmann, der sowohl die deutsche als auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, zu einem Experiment ein. Seine Erfahrungen schilderte Kehlmann am 9. Februar 2021 in einem Vortrag im Rahmen der Reihe »Stuttgarter Zukunftsrede«. Das Buch »Mein Algorithmus und Ich« ist die Druckfassung seines Vortrags.
Der Name CTRL steht für »A Conditional Transformer Language Model for Controllable Generation« und war ein Forschungsprojekt des Unternehmens »salesforce«. Es handelt sich dabei um eine auf Github frei zugängliche Software, die Texte erzeugen kann – jedoch nicht als Ergebnis eines kreativen Prozesses, vielmehr setzt sie einen vorgegeben Artikel fort. Wenn man etwa den Anfang einer Erzählung eingibt, dann spinnt CTRL die Geschichte weiter. Die Idee der Österreicher war es nun, diese KI einem renommierten Schriftsteller gegenüberzustellen.
Es ist besonders erfreulich, dass sich Kehlmann nicht von der Technik einschüchtern ließ. Im Gegenteil: Er hat die Funktionsweise der KI genau nachvollzogen und erklärt sie in seinem Buch sehr gut. Im Grunde hat sich seit ELIZA nichts Wesentliches geändert. Zwar erstaunt der von CTRL produzierte Text auf den ersten Blick, aber er ist genauso inhaltsleer wie die von ELIZA mittels einfacher grammatischer Regeln generierten Fragen.
Was wirklich neu ist, ist die gigantische Menge an Daten, mit der die Software trainiert wurde: 140 Gigabyte, was etwa einer Viertelmillion Büchern entspricht. Diese bezogen die Informatiker aus öffentlichen Quellen wie Wikipedia oder Reddit. Das macht das Ergebnis des Programms völlig unvorhersehbar. Kehlmann war denn auch mehr als einmal überrascht. Als er beispielsweise mit: »I was looking for an appartment. It didn't go well« begann, setzte CTRL fort: »The first thing he said to me was: ›Hey man, you have a nice ass and you're not afraid of anything.‹«
So spannend die Geschichten aber auch anfangs sein mochten, die Software war nicht in der Lage, sie über mehr als die Länge einer Buchseite weiterzuentwickeln. Trotzdem entstanden durchaus interessante Fragmente. Insbesondere fällt auf, dass sie alle eine etwas unheimlich-düstere Atmosphäre erzeugen.
Ob das Experiment nun gelungen ist oder nicht, darüber kann sich der Leser eine eigene Meinung bilden. Kehlmanns Erzählung ist jedenfalls schön zu lesen und regt dazu an, sich intensiver mit der Realität hinter dem Schlagwort KI zu befassen, als es in den meisten Feuilletons üblich ist. Nebenbei schafft es der Autor trotz der Kürze, ein anschauliches Bild der kreativen Menschen im Silicon Valley zu zeichnen.
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