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Buchkritik zu »Mein Leben als Pavian«

Ursprünglich wollte Robert Sapolsky Berggorilla werden. Heute ist er immerhin Professor für Biologie und Neurologie an der renommierten Stanford-Universität in Kalifornien; in der Welt der nicht-menschlichen Primaten ist er jedoch nie über den Status eines gewöhnlichen, rangniedrigen Pavians hinausgekommen.Mit 21 Jahren reist Sapolsky erstmals nach Afrika und schließt sich einer Horde von Anubis-Pavianen an. Nachdem Salomon, das Alphamännchen der Herde, ihm seinen niederen Rangplatz unmissverständlich deutlich gemacht hat ("einmal langte er auch mir eine, sodass ich von einem Felsen herunterfiel"), verlegt sich Sapolsky darauf, der "Schrecken der Paviane" zu werden. Bewaffnet mit einem Blasrohr und Betäubungspfeilen stellt er den Tieren nach, betäubt sie und entnimmt ihnen eilig eine Blutprobe, aus der dann die Konzentration von Stresshormonen bestimmt wird. Das wissenschaftliche Ziel ist es, den Zusammenhang zwischen sozialen Faktoren und stressbedingten Erkrankungen zu erforschen. Die zentrale Frage "Warum kommen einige Tiere besser mit Stress zurecht als andere?" versucht der Verhaltensbiologe mit Blick auf die unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Strategien der Paviane zu beantworten. Dazu beobachtet Sapolsky frei lebende Paviankolonien mit über sechzig Tieren, die häufiger auf Grund sozialer Differenzen als durch Raubfeinde unter Stress geraten. Somit stellen Paviane mit ihrer komplexen sozialen Organisation auch ein perfektes Modell für stressbedingte Erkrankungen beim Menschen dar. "Es geht uns so gut, dass wir uns den Luxus leisten können, aus Gründen eines rein sozialen, psychologischen Stresses krank zu werden. Genau wie diese Paviane."Das vorliegende Buch schildert auf unterhaltsame Weise die Erfahrungen mit Affen und Menschen, die Sapolsky während der letzten zwanzig Jahre in Afrika gesammelt hat. Dabei ist der Untertitel des Buches ("Erinnerungen eines Primaten") wesentlich zutreffender als der Titel ("Mein Leben als Pavian"), denn nicht einmal die Hälfte des über 450 Seiten umfassenden Werkes hat tatsächlich etwas mit Pavianen zu tun. Dazwischen eingestreut sind Geschichten in essayistischem Stil, die teilweise durchaus ernsthafter und sozialkritischer Natur sind.Zahlreiche, oft skurrile Erlebnisse aus der Begegnung zwischen unserer westlichen und der afrikanischen Kultur beschreibt Sapolsky mit der professionellen Distanz des Verhaltensbiologen. Zugegeben, oft kann er der Verlockung nicht widerstehen und greift aktiv in das Geschehen ein, wodurch er das Absurde auf die Spitze treibt. So versorgt er das Personal des benachbarten Touristencamps gezielt mit Informationen über moderne Transplantationstechnik, worauf die Angestellten sich in den Glauben versteifen, einer der Touristen sei komplett durch Ersatzteile ausgetauscht worden. Aber insgesamt fällt positiv auf, dass Sapolsky weder mit westlicher Arroganz auf das nicht-technisierte Afrika blickt noch in eine Romantisierung der naturverbundenen Bevölkerung verfällt.Auch was die Affen angeht, zieht der Biologe eine spannende Erzählweise einer rein wissenschaftlich beschreibenden Sprache vor. So haben die Hauptakteure unter den Pavianen Namen, die dem Alten Testament entnommen sind. Damit verletzt Sapolsky nicht nur vorsätzlich die religiösen Gefühle seines ehemaligen Hebräischlehrers, sondern er verlässt durch bewusste Anthropomorphisierung den Pfad der wissenschaftlichen Objektivität. Wohlgemerkt, er will hier eben nicht eine wissenschaftliche Beschreibung einer Paviankolonie liefern (in seinen fachwissenschaftlichen Publikationen sind die Tiere mit neutralen Nummern gekennzeichnet), sondern auch dem nicht fachkundigen Leser komplexe soziobiologische Phänomene vermitteln.Sapolsky versieht die Akteure mit sehr menschlichen Charaktereigenschaften: Deborah ist "voll Selbstbewusstsein", Aaron ist "ein anständiger Kerl" und Nebukadnezar ein "dummes, unbegabtes Scheusal". Entsprechend ihrem Charakter reagieren die Paviane auch unterschiedlich auf die Anforderungen ihrer sozialen und ihrer natürlichen Umwelt, der Serengeti. Für seine Fragestellungen ist dieser Punkt essenziell, denn es geht ja gerade darum, wie unterschiedliche Dispositionen sich stressphysiologisch ausprägen. Für die Memoiren eines Primat(olog)en scheint diese Vorgehensweise prinzipiell legitim. Manches Mal jedoch schlägt er zu sehr über die Stränge, und die wissenschaftliche Distanz geht komplett verloren: Naomis Familienmitglieder waren "schlichte, brave Leute; es dauerte nicht lange, da waren sie meine Lieblingssippe". Bei einigen Beschreibungen der Dinge, die den ortsansässigen Massai-Kriegern widerfahren, wünscht man sich hingegen etwas weniger Distanz.Wissenschaftlich gibt das Buch leider nur vage Einblicke in die Ergebnisse der jahrelangen Forschung. Der Gestresstheitsgrad der Tiere ist demnach weniger vom sozialen Rang abhängig als vermu-tet. Komplexere soziale Faktoren, wie die Stabilität der Rangordnung, aber auch die Art und Weise, wie man mit potenziell stressigen Situationen umgeht, haben großen Einfluss auf die Stresshormone im Pavianblut: "Gehörst du zu jener Art von Pavian, für die ein in der Nähe dösender Konkurrent einen persönlichen Affront darstellt, dann hast du im Ruhezustand durchschnittlich ein doppelt so hohes Stresshormonniveau wie ein Männchen, das die Sache locker nimmt, nachdem die Rangfrage einmal geklärt ist."Weite Passagen beschreiben das soziale Gefüge in der Gruppe: vom Aufstieg und Fall junger Pavianmännchen bis hin zu Koalitionen, zu denen sich mehrere schwächere Tiere zusammenschließen. Das ist zwar sehr unterhaltend, jedoch nur schwer zu generalisieren und somit auch nur begrenzt dem Erkenntnisgewinn zuträglich. Wer mehr über die Ergebnisse von Sapolskys Stressforschung erfahren will, dem seien eher das (leider in der deutschen Übersetzung vergriffene) Buch "Warum Zebras keine Migräne kriegen" oder einige der mehr als 290 fachwissenschaftlichen Publikationen des Autors ans Herz gelegt.Insgesamt ist das Werk dennoch lehrreich und darüber hinaus höchst unterhaltsam. Haben Sie schon einmal Speiseeis mit Rinderblutgeschmack probiert? Sapolsky ist eben ein Meister des Wissenschaftsmarketings, er weiß sich und seine Forschung zu verkaufen und kann so eine breitere Masse für die sonst oft staubtrockene Forschung begeistern. Wen es nicht stört, dass dafür hier und da der rein wissenschaftliche Teil etwas zu kurz kommt, dem kann dieses Buch nur empfohlen werden.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 08/2002

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