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Aufforderung zum Erwachsenwerden

Nervöse Manager, aggressive Kunden, derangierte Eltern: Viele Menschen wirken überlastet und entnervt. Das zeigt unter anderem die enorm hohe und steigende Zahl der Krankschreibungen. "Burnout" ist ein Schlagwort des neuen Jahrhunderts; Überforderungssymptome scheinen um sich zu greifen. Erklärungen dafür gibt es viele: Der Spagat zwischen Job und Familie sei schuld, der zunehmende Zeitdruck oder das Bestreben, ständig erreichbar zu sein.

Der Bonner Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhoff nennt solche Deutungsversuche den "Überforderungsmythos". Seiner Meinung nach liegen die Ursachen nicht bei den Umständen und nicht bei anderen Menschen, sondern allein bei uns selbst. Denn viele von uns hätten verlernt – beziehungsweise nie gelernt –, sich erwachsen zu verhalten; insbesondere das Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Unter volljährigen Kindern

Winterhoff schreibt gern in Metaphern und stellt bildhaft dar, was er unter unselbstständigen, liebessüchtigen Menschen versteht. Etwa die Sekretärin, die in Tränen ausbricht, weil sie den Kopierer nicht richtig bedienen kann. Oder das Team, in dem keiner Verantwortung übernehmen will. Oder die Mutter, die nicht Nein sagen kann. Unsere Gesellschaft bestehe, so Winterhoff, aus immer weniger Erwachsenen und immer mehr "volljährigen Kindern".

Eine Mitschuld an dieser Entwicklung trage die digitale Revolution. Die tägliche Informationsflut erzeuge im Gehirn einen permanenten Alarmzustand. Viele Zeitgenossen seien dauerhaft überreizt, besorgt und überlastet, und das führe dazu, dass sie in infantile Verhaltensmuster zurückfielen. Sie handelten beispielsweise aus blindem Aktionismus heraus, ohne ein klares Ziel zu verfolgen, oder hegten übermäßig hohe Ansprüche an ihre Umwelt. Fehle etwas oder komme das Gefühl auf, dass etwas fehle, werde dies oft als Zumutung verstanden. Die überforderte Generation bringe miserable Eltern hervor, die es versäumten, ihrem Nachwuchs erwachsene Vorbilder zu sein. Mit der Konsequenz, dass später oft an den Kindern sichtbar werde, was bei Müttern oder Vätern schiefgelaufen ist. Es sei Zeit, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, meint der Autor.

Das Buch schildert etliche Schwächen unserer Gesellschaft klar und treffend und dürfte manchen Leser nachdenklich stimmen. Viele werden die eine oder andere beschriebene Verhaltensweise an sich oder anderen wiedererkennen. Konkreter Rat, wie man diesen Zustand, persönlich und in der Gemeinschaft, überwinden kann, bietet das Buch dagegen nicht; die Tipps des Psychiaters bleiben überwiegend abstrakt. Erst zum Ende wird Winterhoff praxisorientierter. So schlägt er überforderten Eltern Auszeiten etwa in Form von Waldspaziergängen vor. Nur wer sich selbst in der Ruhe wiederfände, könne seine Wünsche und Probleme überhaupt klar sehen – und sie nach außen hin erwachsen vertreten.

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