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»Neuland«: Die Landwirtschaft neu erfinden

Der Journalist und Zoologe George Monbiot liefert eine schonungslose Analyse des globalen Ernährungssystems und eine fundierte Anleitung, es besser zu machen.
Kühe stehen vor einer Biogasanlage auf der Weide.

Der britische Journalist George Monbiot ist Zoologe, Umweltaktivist und Kommentator beim »Guardian«. Mit »Neuland« (englisch: »Regenesis«) will er nichts weniger als die Landwirtschaft neu erfinden. Das Buch beginnt auf einer Obstwiese im englischen Oxford. Monbiot untersucht den Boden und seine vielfältigen Bewohner und leitet von diesem – noch wenig erforschten – Ökosystem zum global vernetzten Ernährungssystem über. Er legt dar, wie komplexe Systeme aufgebaut sind, was sie angreifbar macht und wann sie kippen können. Und er zeigt auf, wie die Vereinheitlichung in der Ernährung und in der globalen Nahrungsmittelproduktion das System immer anfälliger machen.

Monbiot beschreibt die Zerstörung der Böden, die Verschmutzung der Gewässer und vor allem den immensen Flächenverbrauch der Landwirtschaft; sie sei der »weltweit größte Faktor für die Zerstörung natürlicher Lebensräume«. Im Gegensatz zu anderen Industriezweigen würde das bei der Landwirtschaft aber oft nicht so wahrgenommen, führt Monbiot aus, und räumt mit einer ganzen Reihe moderner Mythen auf: von der Verklärung ländlicher Idylle durch Städter bis hin zum Glauben, dass lokal und regional produzierte Lebensmittel grundsätzlich besser für Umwelt und Klima seien. Auch den Traum einer ökologisch tragbaren, weidebasierten Tierhaltung lässt er platzen. Denn wegen des immensen Landverbrauchs bei nur wenigen Tieren pro Hektar würde das den Fleischkonsum schnell zu einem Privileg superreicher Eliten machen, wie er vorrechnet.

Monbiot analysiert die Probleme auf dem Planeten sehr genau und mit viel Tiefe. Besonders hoch anzurechnen ist ihm die Unvoreingenommenheit, mit der er zu Werke geht. So lehnt er weder Gentechnik noch Pestizide kategorisch ab, noch steht er der biologischen Landwirtschaft unkritisch gegenüber, denn auch sie erhöht global betrachtet den Landverbrauch.

Für die meisten Leser und Leserinnen dürfte der erste Teil des Buches starker Tobak sein, zeigt er doch, in welch katastrophalem Zustand sich unser Ernährungssystem (und damit unsere Welt) befindet – zum Glück bleibt Monbiot aber nicht bei Analyse und Kritik stehen. Die zweite Hälfte des Buches beschäftigt sich mit aktuellen Forschungsergebnissen und vielen praktischen Ansätzen, die Mut machen. Dazu gehören neue Erkenntnisse der Bodenökologie, die Züchtung mehrjähriger Getreidepflanzen, pfluglose Landwirtschaft, biologische Schädlingsbekämpfung und nicht zuletzt das weite Feld alternativer Tierprodukte.

Obwohl wir längst mehr als genug pflanzliche Proteine produzieren, um zehn Milliarden Menschen zu ernähren, nimmt der Hunger auf der Welt seit einigen Jahren wieder dramatisch zu, auch weil wir einen großen Teil der produzierten Nahrung an Tiere verfüttern. Monbiot ist realistisch genug, um anzuerkennen, dass der moralisch begründete Veganismus sich nicht schnell genug verbreiten wird, um diesen Trend umzukehren. Hier kommen die Fleisch-, Ei- bzw. Milchersatzprodukte ins Spiel. Sie werden auf Basis pflanzlicher Proteine, aus Pilzmyzel, aus tierischen Stammzellen oder auch mit Hilfe von Mikroben hergestellt. Die Gasfermentation, also die Produktion von Proteinen durch Mikroben, die zum Beispiel Wasserstoff verstoffwechseln, erscheint Monbiot dabei momentan als vielversprechendste Methode.

Der Autor begibt sich vor Ort, um zu sehen, wie neue Ansätze in der Praxis funktionieren. So lässt er sich einen aus Bakterienprotein gebackenen Pfannkuchen schmecken, besucht einen Gemüsebauern und »Bodenflüsterer« und ist auf Äckern, an Flüssen und in Laboren unterwegs. Etliche der anvisierten Lösungen stecken noch in den Kinderschuhen, mögliche Fallstricke kommen zur Sprache, und es wird auch klar, dass kulturell tief verankerte Traditionen und Gewohnheiten unsere Nahrung betreffend nicht so einfach zu ändern sind – trotzdem schafft es Monbiot, Aufbruchstimmung zu verbreiten.

»Neuland« ist ein provokantes Buch im besten Sinne, denn es gibt wichtige Denkanstöße und bietet mit 80 Seiten ausführlichen Quellenverweisen eine gute Diskussionsgrundlage (wenn nur jedes Sachbuch so genau seine Quellen aufführen würde). Trotzdem werden viele Zeitgenossen Monbiot Hass auf die Landwirtschaft und insbesondere die Tierhaltung vorwerfen und seine Analysen und Schlussfolgerungen als zu radikal oder abwegig verwerfen. Gerade die Radikalität und die Konsequenz seines Denkens sind aber die Stärke des Buches. Seine Vision: Durch moderne Methoden kann der landwirtschaftliche Flächenverbrauch massiv reduziert werden, große Gebiete werden renaturiert und wir schaffen es, endlich die Welt zu ernähren, ohne dabei den Planeten zu zerstören. Eine Aussicht, für die es sich definitiv zu streiten lohnt.

Anmerkung zur deutschen Übersetzung: Wer das Buch im englischen Original lesen kann, der sollte das tun. Dafür spricht allein schon die Ausstattung, denn in der deutschen Fassung sucht man leider vergeblich nach den erläuternden Fußnoten oder dem ausführlichen Stichwortverzeichnis am Schluss.

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