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»Anleitung zum Wohlbefinden«: Unkomplizierte Lösungen gibt es nicht

Autor Giovanni A. Fava ist überzeugt, dass die individuellen Schicksale von Menschen, ihre Lebensumstände und Erfahrungen bei der Behandlung psychischer Erkrankungen wichtig sind. Wenn Ärzte und Therapeuten Medikamente und Behandlungsformen sorgfältig wählen, können sie ihren Patienten ein gutes, zufriedenes Leben zu ermöglichen. Eine Rezension.
Therapeutin macht sich Notizen, im Hintergrund sitzt eine Patientin

Psychotherapie ist immer auch eine begleitete Selbsttherapie – davon ist der Psychiater und Psychotherapeut Giovanni A. Fava überzeugt. Das bedeutet: Patienten müssen einen eigenen Anteil an ihrer Genesung leisten, indem sie sich an Therapiepläne halten und im Alltag Dinge tun, die gut für sie sind und die Symptome verbessern. Ärzte und Therapeuten sollten Medikamente und Behandlungsmethoden sorgfältig wählen und individuell auf ihre Patienten abstimmen. Außerdem sollten sie nicht nur auf die Symptome schauen, sondern den Betroffenen ein gutes, zufriedenes Leben ermöglichen.

Die Kapitel dieses Buchs sind ursprünglich in einer Reihe von Artikeln in der Zeitschrift »Ärztliche Psychotherapie« erschienen, den so genannten »Federn«. Daher richtet sich »Nicht krank ist nicht gesund genug« vorrangig an (ärztliche) Psychotherapeuten. Das Buch ist aber auch für interessierte Laien angenehm lesbar. Jedes Kapitel stellt eine eigene Patientengeschichte dar oder verfolgt einen bestimmten Gedanken, doch stets lautet die Botschaft: Die medizinische Realität ist oft anders, als es Wissenschaftler in medizinischen Studien annehmen (müssen). Unkomplizierte Lösungen, die wir uns für alle möglichen Leiden erhoffen, gibt es oft nicht.

Das zeigt sich etwa in der Erzählung über eine ältere Dame, die für ihre Schlaflosigkeit ein Medikament nach dem anderen verschrieben bekam, jedoch keines davon wieder absetzte. Ein einziges Medikament half ihr schließlich – kombiniert mit einem aktiveren Lebensstil. Fava greift die besonderen Belange der »Covid-Generation« auf und beschreibt die Besonderheiten von Patientinnen und Patienten mit mehreren Erkrankungen. Er kritisiert, dass im Diagnosehandbuch kein Platz für Vorerkrankungen, bisher eingenommene Medikamente und Psychotherapien ist. Er fordert, die individuellen Schicksale von Menschen, ihre Lebensumstände und Erfahrungen bei psychotherapeutischen Behandlungen viel stärker zu berücksichtigen. Starre Protokolle seien für Studien und die Vergleichbarkeit wichtig, in der Praxis brauche es aber mehr Flexibilität.

Fava artikuliert seine Forderungen deutlich. Sie liefern Fachleuten Ideen für die eigene Praxis. Auch Menschen ohne medizinisches Fachwissen können von Favas Erläuterungen profitieren – etwa, um im eigenen Lebensstil nach Antworten zu suchen oder um ihren Ärzten oder Therapeuten im Gespräch wichtige Informationen zu liefern. Sie lernen, dass sie aktiv mitarbeiten müssen, um gesund zu werden, und dass Medikamente allein nicht ausreichen.

Da es sich um eine Artikelsammlung handelt, wiederholen sich manche Gedanken, was jedoch kaum stört und sich als nützlich erweist, da sich die wichtigen Punkte deutlicher ins Gedächtnis brennen. Etwas irritierend erscheint zunächst das lange Vorwort des Psychotherapeuten und Autors Wulf Bertram, das mit etwa 30 Seiten ein Viertel des gesamten Buchs ausmacht. Doch es ist ebenfalls gut geschrieben und erklärt, warum die restlichen Kapitel lesenswert sind. Die persönliche Note zwischen Bertram und Fava wirkt sympathisch: Die beiden verbindet nicht nur das Berufliche, sondern auch ihre Liebe zu Italien.

Insgesamt ist es ein Buch ohne nennenswerte Highlights, aber mit vielen Denkanstößen und deutlichem Engagement.

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