Der Zahlen wilder Ritt
Rechtzeitig und passend zur Urlaubszeit hat Albrecht Beutelspacher, emeritierter Professor für Diskrete Mathematik und Geometrie an der Universität Gießen, Gründer und Leiter des Gießener »Mathematikums«, wieder ein wunderbares, leicht zu lesendes Buch verfasst – mit 39 unterhaltsamen Geschichten über Zahlen von eins bis unendlich (zwischendurch kommen natürlich auch 0 und -1 vor, die eulersche Zahl e, die imaginäre Einheit i und viele andere mehr). Alle Beiträge lassen sich unabhängig voneinander lesen, alle sind kurz gehalten und für mathematisch interessierte Laien ebenso interessant wie für Menschen, die sich schon etwas intensiver mit dem Fach beschäftigt haben.
Der Buchtitel lehnt sich an Michael Endes »Jim Knopf und die Wilde 13« an, hat mit dieser spannenden Abenteuergeschichte für Kinder und jung gebliebene Erwachsene inhaltlich aber nur wenig gemein – bis auf die Tatsache, dass es natürlich ein Kapitel zur Zahl 13 gibt und jeder Abschnitt mit einer Piratenschiff-Zeichnung endet. Ein solches Wasserfahrzeug ist auch auf der Titelseite des Werks abgebildet, schwimmend auf einem Meer von Zahlen.
Im Plauderton durchs Thema
Beutelspachers zahlreiche Bücher, von denen »Spektrum« einige besprochen hat (etwa »Wie man in eine Seifenblase schlüpft«, oder »Albrecht Beutelspachers Kleines Mathematikum«), überzeugen immer wieder mit lockerem, verständlichem und unterhaltsamem Stil. Im Plauderton erzählt er seine Geschichten, diesmal über »die wichtigsten Zahlen«. Zu entscheiden, um welche es sich dabei handelt oder auch welches die schönsten sowie die geheimnisvollsten sind, überlässt der Autor seinen Lesern. Er gibt ihnen aber zahlreiche Informationen an die Hand, oft wie beiläufig in die einzelnen Abschnitte eingestreut – darunter Fakten über die Geschichte der Zahlen und der Zahlsysteme.
Beutelspachers Erzählbögen faszinieren. Die ersten neun Abschnitte beschäftigen sich mit den natürlichen Zahlen von 1 bis 9, dann folgt die 0, die man benötigt, um Ordnung ins Stellenwertsystem zu bringen, und nach der 10 geht es noch systematisch weiter bis zur 14, dann in Sprüngen über 17, 21, 23, 42 (die ja bekanntlich in »Per Anhalter durch die Galaxis« die Antwort auf alle Fragen gibt) bis hin zu ∞, womit sich der Autor im 39. Abschnitt beschäftigt.
Keine Geschichte ist wie die andere, und dennoch ähneln sich manche ihrer Elemente. Beispielsweise steigt der Autor bei der Zahl 6 mit Keplers Entdeckung ein, dass Schneeflocken eine 6-zählige Symmetrie haben; dann geht er über zu den Bienenwaben, die ihre Stabilität der Sechseckform verdanken; erwähnt weiterhin, dass mit Sechsecken die Ebene parkettiert werden kann und dass beim Kochen von Dampfnudeln automatisch Sechseckstrukturen entstehen. Über die Stabilität von Sechseckmuttern geht es weiter zu dreidimensionalen hexagonalen Packungen, wie man sie von Orangenstapeln kennt. Das Ganze endet mit dem Hinweis, dass zwar bereits Kepler vermutete, diese Form der Packung sei die dichteste, also optimal zum Stapeln, der Beweis sei aber erst im Jahr 2005 durch Thomas Hales erfolgt. Nebenbei erfährt man noch, warum Sechskantschrauben in Deutschland die Bezeichnung »Inbus« tragen.
In den anderen Abschnitten geht es vergleichbar turbulent zu. So befasst sich der über die 9 mit fischähnlichen Wirbeltieren, die Neunaugen heißen, obwohl sie keine neun Augen haben; mit dem Ereignis »alle Neune« beim Kegeln; mit Dantes neun Kreisen der Hölle; mit dem aus neun Feldern bestehenden magischen Lo-Shu-Quadrat sowie mit den Sudoku-Rätseln. Natürlich kommt auch die Teilbarkeitsregel für die 9 vor, ebenso die Neunerprobe, mit der man manche Fehler beim Addieren, Subtrahieren und Multiplizieren entdecken kann.
Das Buch überzeugt in doppelter Hinsicht: Es ist kurzweilig geschrieben, und es enthält sehr viele Hinweise auf mathematische Gesetzmäßigkeiten und Strukturen, an die man im Zusammenhang mit Zahlen nicht unbedingt gleich denkt: bei der 1 etwa auf das benfordsche Gesetz; bei der 2 auf die Möglichkeit, mit nur 33 Ja-Nein-Fragen jeden Menschen auf dieser Erde zu identifizieren; bei der 4 auf das 4-Farben-Problem; bei der 8 auf die zueinander dualen Körper Hexaeder und Oktaeder; bei der 12 auf Ramanujans hochzusammengesetzte Zahlen und so weiter. Es ist wirklich kaum zu glauben, was der Autor alles in seinem Buch untergebracht hat.
Zu Letzterem ist vielleicht ein winziger Kritikpunkt anzubringen: Für Leserinnen und Leser, die nicht allzu sehr in der Welt der Mathematik bewandert sind, wären Hinweise auf weiterführende Literatur hilfreich gewesen. Solche enthält das Buch leider nicht. Bei der heutigen Qualität der Wikipedia-Beiträge hätte es in den meisten Fällen vielleicht genügt, das entsprechende Stichwort anzugeben, damit man selbstständig recherchieren kann. Wer statt zu recherchieren einfach nur mehr vom Autor lesen möchte, dem seien die oben genannten Titel unbedingt empfohlen.
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