»Okkulte Versuchung«: Gescheiterte Wiedergeburt in Zeiten der Aufklärung
Die Welt will betrogen werden. Das gilt für Verschwörungstheorien heutiger Zeit wie für vergleichbare in früheren Epochen. Schon immer haben Betrüger und andere windige Gestalten erfolgreich ihr Handwerk betrieben. Besonders die Zeit, die wir gern als »Aufklärung« bezeichnen, gebar solche Charaktere zuhauf – sei es, dass sie vom Stein der Weisen träumten oder aus Blei Gold schaffen wollten. Das 18. Jahrhundert, die Zeit der Philosophen Voltaire, Jean-Jacques Rousseau, David Hume und Immanuel Kant, war gespickt mit Figuren wie Cagliostro, dem Okkultisten, Alchemisten und Abenteurer. Auch in der zeitgenössischen Literatur trieben sie ihr Unwesen, wie etwa in Friedrich Schillers »Der Geisterseher«. Und die Rolle der geheim agierenden Freimaurer in der Französischen Revolution hat der Historiker Reinhart Koselleck in »Kritik und Krise« (1959) analysiert.
Einem der berühmtesten Betrüger und Abenteurer des 18. Jahrhunderts widmet nun der Kulturjournalist Hakan Baykal ein sehr amüsantes Büchlein: »Okkulte Versuchung« handelt von Giacomo Casanovas (1725–1798) Verhältnis zu einer der reichsten Witwen Frankreichs, der zum Hochadel zählenden Marquise Jeanne d’Urfé (1705–1775). Sie hatte über Jahrzehnte geheimes Wissen erworben, sich eines der größten Labore für Alchemie zusammengestellt und verfolgte konsequent ihren größten Wunsch, als Mann wiedergeboren zu werden. Nur als solcher hätte sie, wie ihr esoterisches Wissen vorsah, geheimen Zugang zu Geistern. Im 20 Jahre jüngeren Casanova, den sie über die Herzogin von Orléans kennengelernt hatte, sah sie den idealen Magier, der ihr diesen Wunsch erfüllen würde.
Casanova hatte schon in seiner Jugend in Venedig umfassende Kenntnisse über Okkultismus, die Kabbala und die Geisterbeschwörung erworben. Aber für ihn waren diese Lehren eher Mittel zu einem bestimmten Zweck: Reichtum zu erwerben. In den etwa sechs Jahren seiner Beziehung zur Marquise d’Urfé betrog er die naive »Witwe« nach Strich und Faden. Die Gutgläubige erlag seinem Esprit, war von seinem geheimen Wissen völlig eingenommen und bedrängte ihn, ihr bei der Wiedergeburt als Mann zu helfen. Casanova ließ sich nicht lange bitten, ließ sie gar in dem Glauben, dass er das könne, und erleichterte sie dabei um mehr als eine Million Francs. Als er nach drei gescheiterten, in seinen Memoiren skurril beschriebenen esoterischen Anläufen Gefahr lief, als Scharlatan entlarvt zu werden, floh er 1763 aus Paris als vermögender Mann.
Zwar kehrt das Buch immer wieder auf die Beziehung zwischen diesen beiden zurück, doch es bietet weit mehr als das. Auf den knapp 130 Seiten entfaltet der Autor ein Tableau des Lebens, Denkens und insbesondere der Dekadenz des hohen und niederen Adels zur Zeit Ludwig XV. – ebenso des Pariser Lebens der Gaukler, Theaterleute, Gauner, Prostituierten und Spieler, mit denen Casanova gern in dieser Hauptstadt der Aufklärung verkehrte.
Aus den Bleikammern Venedigs nach Paris
Casanova war nach 15-monatiger Haft aus den berühmten Bleikammern Venedigs (1755/56) direkt nach Paris geflohen, wo er durch die Vermittlung seines venezianischen Freundes und späteren Außenministers Frankreichs, Abbé de Bernis, in den Hochadel eingeführt wurde (ihre Freundschaft war in Venedig entstanden, als sich beide eine Geliebte »geteilt« hatten). Casanova wusste in den adligen Kreisen zu brillieren, dem charmanten Plauderer flogen die Herzen der Damen zu, selbst die Herren scheuten sich nicht, ihn mit Geheim- und Finanzangelegenheiten zu beauftragen, so etwa mit Devisen- und Anleihegeschäften in Amsterdam.
Casanova floh nach seiner Pariser Zeit zunächst nach London, wo ihm das Glück weniger hold war. Ab da war der schon früher Vielgereiste fast nur noch unterwegs und durchquerte halb Europa. Erst im Alter von 60 Jahren fand der berühmte Frauenheld eine dauernde Bleibe als Bibliothekar auf Schloss Dux (Duchcov, nahe Teplice im heutigen Tschechien). »Im Alter wurde aus dem sorglosen Abenteurer ein grantiger Greis«, erfahren wir. In Dux äußerst unzufrieden, begann Casanova, seine berühmten Memoiren zu schreiben, empfing nur noch wenige Besucher, darunter Lorenzo da Ponte, der für Mozarts Oper »Don Giovanni« das Libretto geschrieben hatte, und starb schließlich 73-jährig am 4. Juni 1798. Jeanne d’Urfé war bereits 1775, 23 Jahre vor ihm, in Paris verstorben.
Man merkt dem Buch an, wie souverän der Autor seinen Stoff beherrscht. Er zeigt sich als guter Kenner der französischen und ins Deutsche übersetzten vielbändigen Memoiren Giacomo Casanovas, ebenso der Literatur über Casanova; diese bestätigt, dass dessen Memoiren, abgesehen von wenigen Erinnerungsfehlern, inhaltlich zuverlässig und schonungslos gegenüber ihrem Verfasser sind. Zudem zitiert Baykal eine Reihe von Casanovas Zeitgenossen, ebenso weitere Literatur über Abenteurertum und Okkultismus sowie zu seinem Helden und zur Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts.
Das Buch ist flüssig und gut geschrieben, amüsant zu lesen. Man kann über manches lachen, wenn man dafür eine Portion Toleranz gegenüber der Moral, den Sitten und Gebräuchen des 18. Jahrhunderts mitbringt, die so ganz anders waren, als es die heutigen sind.
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