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Buchkritik zu »Onkel Petros und die Goldbachsche Vermutung«

Petros Papachristos, geboren 1895 in Athen, hat schon seine Lehrer in der Schule mit seiner außerordentlichen mathematischen Begabung in Erstaunen versetzt. Er promoviert bereits mit 21 Jahren in Berlin und macht sich alsbald auf die – mitten im Ersten Weltkrieg – gefährliche Reise nach England, um dort mit den berühmtesten Zahlentheoretikern der damaligen Zeit zusammenzuarbeiten: G. H. Hardy, J. E. Littlewood und Srinivasa Ramanujan (Spektrum der Wissenschaft 4/1988, S. 96). Nach dem Krieg wird er Professor in München und wagt sich, ohne einem Menschen etwas davon zu erzählen, an eins der größten ungelösten Probleme seines Fachs: die Goldbachsche Vermutung, nach der jede gerade Zahl Summe zweier Primzahlen ist. Er behält sogar zwei bedeutende Zwischenergebnisse für sich, bis es zu spät ist, sie zu publizieren, weil andere ihm zuvorgekommen sind.Just um diese Zeit veröffentlicht Kurt Gödel seinen berühmten Unvollständigkeitssatz, wonach es innerhalb eines Systems wie etwa der Zahlentheorie wahre, aber innerhalb des Systems unbeweisbare Sätze gibt. Papachristos kommt daraufhin zu der (durch Gödels Satz nicht begründeten) Überzeugung, die Goldbachsche Vermutung sei unbeweisbar, gibt seine Bemühungen auf – und wenig später die Mathematik überhaupt, als die Nazis ihn aus Deutschland vertreiben.Erst Jahrzehnte später reißt sein "wertester Neffe", der Autor des Buches, ihn durch bohrende Fragen aus beschaulichem Nichtstun. Papachristos nimmt seine Forschungen wieder auf, verkündet den Durchbruch – und stirbt in derselben Nacht an einem Schlaganfall. Den Beweis der Goldbachschen Vermutung, wenn er ihn denn hatte, nimmt er mit ins Grab, wie sein berühmter Fachkollege Pierre de Fermat den seinigen.Natürlich ist der Held des Buches eine Erfindung von Apostolos Doxiadis, der selbst als Fünfzehnjähriger von der Columbia-Universität in New York als Mathematikstudent aufgenommen wurde und sich später von der Mathematik ab- und der Literatur zuwandte. Aber die Geschichte ist so eng mit wahren Ereignissen verwoben, dass man seinen Namen auf der Stelle in einer biografischen Datenbank suchen möchte. Bis zum tragischen Ende bleibt die Geschichte spannend.Aber lassen Sie sich von der unterschwelligen Botschaft nicht in die Irre führen! Wenn man Doxiadis glauben will, ist es das Schicksal eines Weltklasse-Mathematikers, entweder jung zu sterben (Abel, Galois, Ramanujan) oder verrückt zu werden (Cantor, Gödel, Onkel Petros). Aber in dieser einseitigen Auswahl hat er Gauß, Hilbert und viele andere unterschlagen, die bei klarem Verstand alt geworden sind. Auch Andrew Wiles wirkt vollkommen normal, wenn man davon absieht, dass er die Fermatsche Vermutung bewiesen hat.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 04/01

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