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»Oxygen«: Weltuntergang mit Suchtpotenzial

Im Thriller hilft ein Aerosol gegen den Klimawandel. Doch dann verschwindet der Sauerstoff. Ein aktueller und fesselnder Thriller.
Die obere Atmosphäre

Es ist eine Ozeanografin, die als Erste die kommende Katastrophe ahnt. Laura Lombardi ist unterwegs auf einem Forschungsschiff, als sie mit Erschrecken feststellt, dass das Plankton im Meer die Eigenschaft verliert, Sauerstoff zu produzieren. Phytoplankton – Pflanzenplankton – erzeugt bis zu 80 Prozent des globalen Sauerstoffs. Als die Forscherin wenig später das Weingut einer Freundin besucht, klagt diese über graue Blätter an den Weinreben. Doch es bleibt nicht beim Verlust eines guten Jahrgangs Wein. Alle Landpflanzen verlieren nach und nach ihre Fähigkeit, Sauerstoff zu produzieren. Die Ernten fallen aus. »Wir müssen dafür sorgen, dass alle Menschen genug zu essen bekommen, dass niemand verhungern muss«, so der schnell einberufene Sonderbotschafter der Vereinten Nationen. Doch nicht nur die Lebensmittel werden knapp, der Sauerstoffgehalt in der Luft sinkt immer weiter, und Menschen sterben. Es ist eine Katastrophe, bei der ein Happyend fraglich wird, die Brandhorst in seinem neuen Thriller entwirft. Eine Katastrophe, die sich nicht wie die Klimakrise über Jahrzehnte hinzieht, sondern innerhalb von zwei Jahren das Überleben der Menschheit bedroht.

Andreas Brandhorst ist erfolgreicher Autor von Fantasiegeschichten, Sciencefiction und Wissenschaftsthrillern und hat auch viele Scheibenwelt-Romane von Terry Pratchett ins Deutsche übersetzt. In seinen Romanen nimmt er aktuelle wissenschaftliche Entwicklungen auf, die außer Kontrolle geraten, wie das machtvolle Erwachen einer künstlichen Intelligenz.

Die Welt verliert den Sauerstoff

Seinen aktuellen Thriller »Oxygen – Welt ohne Sauerstoff« hat Brandhorst in der nahen Zukunft angesiedelt. Der Klimawandel ist so gut wie abgewendet und Sonnenenergie wird in der Sahara großflächig geerntet. In den USA regiert eine farbige Präsidentin, Russlands Putin ist schwer erkrankt und die Geheimdienste gehen zusammen joggen. Gute Zukunftsaussichten dank Geoengineering: Ein wirkungsvolles Aerosol wurde in der Atmosphäre verteilt, das das klimaschädliche Kohlendioxid in Kohlenstoff und Sauerstoff spaltet. Doch dann geht der Versuch schief, und in der Folge verschwindet weltweit der Sauerstoff.

Zu Beginn inszeniert Brandhorst einen Plot, der schon im Umgang mit der Klimakrise bekannt wurde: Regierungen und Wirtschaftsunternehmen spielen den Effekt herunter, Forscher werden diskreditiert, Tatsachen geleugnet, und man weist sich gegenseitig die Schuld zu. Doch das ist erst der Anfang im Kampf um die letzten Ressourcen. Dann starten die in einem Krimi üblichen Bombenanschläge, Intrigen, Mordversuche, wenn skrupellose Machtmenschen eine neue Clique bilden, um die Krise zu nutzen, das Überleben weniger Auserwählter zu gestalten.

Die Wissenschaft im Thriller

Brandhorst garniert seinen Thriller mit wissenschaftlichen Themen: Meeresverschmutzung, Klimawandel, Mikroben, auftauender Permafrost, Methan, Elektrolyseure, negative Emissionen oder die Samenbank auf Spitzbergen. Aber die Wissenschaft bleibt bei ihm eher vage und oberflächlich. Doch das Buch erfüllt eine ganz andere wichtige Rolle.

Auch der Klimawandel ist nicht nur eine Bedrohung für Menschen, er ist auch eine Bühne für die Reichen der Welt, die bei Brandhorst gleich doppelt verdienen. Denn als sie feststellen, dass das anfangs rettende Aerosol eine noch größere Gefahr heraufbeschwört, sagt eine beteiligte Managerin: »Wir retten die Welt zweimal. Wenn wir es geschickt anstellen, verdienen wir noch mehr«, und fordert finanzielle Unterstützung für die Lösung des von ihnen verursachten Problems. Das erinnert an Ölfirmen, die öffentliche Gelder fordern, um erschöpfte Ölfelder in Wasserstoffquellen zu verwandeln, oder Autofirmen, die so finanziert Dieselautos in Wasserstoffverbrenner umwandeln wollen.

Diskreditierung der Forscher

Doch was passiert, als Laura Lombardi vor der kommenden Gefahr warnt? Die Mechanismen von Macht und Kapitalismus greifen ähnlich wie im Klimawandel: Als Erstes starten Medienkampagnen. Die Meeresforscherin Laura Lombardi und ihre Kollegen werden – zu Unrecht, aber sehr öffentlichkeitswirksam – lächerlich gemacht. Eine großartige Methode, um davon abzulenken, dass spätestens jetzt alle Verbrenner von fossilen Stoffen sofort abgeschaltet werden müssten.

Auf die Art des Aerosols geht Brandhorst nicht näher ein, doch er hat ein brandaktuelles Thema gewählt. Im Februar 2023 ließ ein Start-up in Nevada Ballons in die Atmosphäre aufsteigen. Dort oben setzten sie ein Aerosol frei, das die globale Erwärmung abschwächen soll. Eine kleine Aerosolinjektion von vielen, auch das Weiße Haus koordiniert ein eigenes Programm. In Mexiko immerhin sind Aerosolversuche verboten, aufgrund der unsicheren Folgen.

Frauen spielen in der nahen Zukunft in Brandhorsts Roman zwar eine wichtige Rolle, als Wissenschaftlerinnen, Direktorinnen oder eben als Präsidentin. Doch der Autor bleibt in Stereotypen verhaftet, die Charaktere blass. Die Frauen sind bei ihm mollig oder werden wahlweise mit klassischer oder natürlicher Eleganz ausgestattet und meist mit Vornamen genannt, Männer sind eher drahtig, haben stahlblaue Augen, einen Dreitagebart und ein windgegerbtes Gesicht.

Wer das überlesen kann, der findet einen bis zur letzten Seite fesselnden Thriller. Und wer die letzte Seite atemlos umgeblättert hat, blickt sicher deutlich beunruhigter und kritischer auf die Manager der realen Klimakrise.

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