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»Panorama der Mathematik«: Die bunte Vielfalt der Mathematik

Das Buch bietet allen Interessierten einen spannenden Einblick in die Entwicklung der Mathematik und einen verständlichen Überblick über ihre Teilbereiche. Eine Rezension
Bunte magnetische Plastikzahlen, wie sie möglicherweise auch bei der Finanzplanung des Flughafens Berlin Brandenburg zum Einsatz kamen.

»Panorama der Mathematik« hat alle Voraussetzungen dafür, ein Bestseller sowohl in den Kategorien Mathematik als auch Populärwissenschaft zu werden – und das liegt nicht nur an dem überraschend günstigen Kaufpreis. Es lässt sich jetzt schon voraussagen, dass wohl weitere Auflagen des Buchs erscheinen werden – ähnlich wie beim großartigen Projekt »Das BUCH der Beweise«, das (so wie es die Autoren damals gewünscht hatten) durch Anregungen aus der Leserschaft fortlaufend ergänzt und erweitert wurde.

Das »Panorama der Mathematik« beruht auf den vielfältigen Erfahrungen, die in der seit etlichen Jahren an der Freien Universität Berlin angebotenen Vorlesung mit gleichem Titel gewonnen wurden. Diese Veranstaltungen richteten sich nicht nur an Studierende des Lehramts, sondern boten allen Interessierten einen Einblick über die Entwicklung der Mathematik und einen Überblick über deren Teilbereiche.

Für die nächste Auflage wird der Verlag allerdings eine andere Art des Einbands finden müssen; bereits jetzt besteht die Gefahr, dass der voluminöse Schmöker aus dem Leim geht (wie es mir nach der intensiven Lektüre passiert ist). Der hier verwendete Begriff Schmöker ist keinesfalls negativ gemeint – vielmehr laden Andreas Loos, der als Data Scientist bei der »Zeit« tätig ist, sowie die Mathematiker Rainer Sinn und Günter M. Ziegler die Leser ausdrücklich »zum Schmökern« ein, um mehr über die »Villa Kunterbunt Mathematik« zu erfahren.

Was ist Mathematik?

Das Buch hat ein ungewöhnliches Format (zirka 19 mal 23 Zentimeter). Neben dem Haupttext finden sich Begriffserläuterungen, Beispiele, illustrierende Abbildungen und vor allem Kurzporträts der angesprochenen Mathematikerinnen und Mathematiker mit gelungenen Porträtzeichnungen. Die zahlreichen, etwa zur Hälfte farbigen Abbildungen sind Blickfänge und stellen eine wichtige Ergänzung der Texte dar. Das Werk ist in drei Teile gegliedert: »Was ist Mathematik?«, »Konzepte« und »Mathematik im Alltag«.

Mit der Überschrift des ersten Kapitels knüpfen die Autoren an Richard Courant und Herbert Robbins an, die 1941 durch ihr Werk »What is Mathematics?« (erst 1962 in deutscher Übersetzung erschienen) den Versuch unternahmen, die Vielfalt mathematischen Denkens zu beschreiben, indem sie sich mit Fragestellungen aus verschiedenen Teilbereichen des Fachs auseinandersetzten.

Ziegler und Co. unternehmen mit dieser Überschrift zunächst den Versuch, die Mathematik im Stil eines lexikalischen Eintrags zu beschreiben, wobei sie die Aspekte »Mathematik als Teil der Kultur«, »Mathematik als Werkzeugkasten« sowie »Mathematik als Wissenschaft« ansprechen. Der Aufbau der Kapitel erfolgt stets in gleicher Weise: Nach der Vorstellung des Themas in knapper Form folgen »Variationen«, in denen einzelne Aspekte ausführlicher dargestellt und durch Beispiele sowie eine Fülle von Originalzitaten veranschaulicht werden. Dann folgen »Partituren«: kommentierte Hinweise auf wichtige Veröffentlichungen zu den zuvor angesprochenen Themen. »Etüden« bilden jeweils den vierten Abschnitt eines Kapitels – hierbei handelt es sich um konkrete Aufträge an den Leser zum Recherchieren.

Während die Abschnitte über das jeweilige Thema des Kapitels und die zugehörigen Variationen keiner näheren Erläuterung bedürfen, weil sie äußerst anregend geschrieben sind, bleibt das Ziel der Etüden unklar: Welche Antworten erwarten die Autoren auf die dort gestellten Fragen? (Vermutlich wurden solche Aufträge an die Studierenden der Panorama-Vorlesung gestellt, dann aber auch kommentiert und anschließend besprochen.) Die weiteren Kapitel des ersten Teils des Buchs beschäftigen sich mit den Themen »Mathematische Forschung«, »Beweise« (Anforderungen an einen Beweis, Beweisbarkeit, Beweistechniken bis hin zu computergestützten Beweisen), »Formeln, Zeichnungen und Bilder« sowie »Philosophie der Mathematik« (historische Entwicklung von Plato bis hin zu nicht klassischen Theorien).

Der zweite Teil des Buchs (Konzepte) ist mit 180 Seiten der umfangreichste. In diesem stellen die Autoren nacheinander Primzahlen, Zahlenbereiche, Unendlichkeit, Dimensionen, Zufall – Wahrscheinlichkeiten – Statistik und Funktionen vor. Sie erläutern ausführlich, welche Fragen während der Entwicklung der europäischen Mathematik aufgetreten sind und wie beziehungsweise ob sie geklärt werden konnten. An manchen Stellen findet man am Rand ein Lupen-Symbol mit einem Plus- oder einem Minuszeichen als Hinweis auf eine Textpassage, die teilweise sehr detailliert ist und man bei der ersten Lektüre auslassen kann.

Leider ist der Blick auf die Entwicklungsgeschichte der Mathematik stark eurozentriert. Die Autoren haben das wohl auch selbst schon bemerkt: Sie stellen in einer Etüde die Aufgabe, eine eigene Recherche zur Bedeutung der Mathematik in Indien und China zu führen. Es wäre allerdings schön, in der nächsten Ausgabe mehr dazu zu lesen.

Im dritten Teil (Mathematik im Alltag) geht es um Anwendungen, Rechnen, Algorithmen und Komplexität sowie um das Bild der Mathematik in der Öffentlichkeit. Bei einem solch mutigen Unternehmen, die heutige Landkarte der Mathematik einschließlich der »aktuellen Fronten der Forschung« vorzustellen, hängt es an einigen Stellen stark von den Vorkenntnissen der Leser ab, inwieweit sie die jeweiligen Ausführungen auf Anhieb nachvollziehen können. Manche Passagen, etwa zur Stochastik, sind auch für Schüler in Abschlussklassen verständlich, wohingegen die komplexen Erläuterungen zur Graphen- und Knotentheorie sehr kompakt erscheinen.

Im Begleittext heißt es: »Das Buch richtet sich an alle, die wissen und darüber nachdenken wollen, was Mathematik ist, insbesondere auch an Studierende der Mathematik.« Diesem Anspruch wird das Werk gerecht, und darüber hinaus: Es ist eine wunderbare Lektüre für alle, deren Studienzeit schon einige oder etliche Jahre zurückliegt. Wenn man das Buch zum Schmökern in die Hand nimmt, wird man sich mit Sicherheit festlesen. Bei auftretenden Fragen hilft das ausgezeichnete Quellenverzeichnis mit mehr als 500 Literaturhinweisen weiter. Ein ausführliches, sorgfältig erstelltes Personen- und Sachverzeichnis rundet den positiven Gesamteindruck des Werks ab.

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