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Kurz und gut

Kann man auf gut 100 Seiten einen Eindruck von philosophischen Problemen der Physik vermitteln? Man kann, wie der doppelt promovierte Physiker und Philosoph Norman Sieroka zeigt, der an der ETH Zürich lehrt. Aber braucht man überhaupt Philosophen, um Physik zu verstehen? Schließlich käme kaum jemand auf die Idee, eine kurze Philosophie der Chemie oder Geografie zu schreiben.

Mit der Physik ist es insofern etwas Besonderes, als sie grundlegende Aussagen über die Bausteine der Wirklichkeit macht. Auf ihrem Weg ist sie, historisch betrachtet, allmählich in ein Gebiet vorgedrungen, das von der Antike bis tief in die Neuzeit die Domäne der Philosophen war. Bei den alten Griechen waren alle Antworten auf die Frage, woraus die Natur auf der fundamentalen Ebene besteht – ob aus Wasser oder aus Atomen, ob aus den Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer oder den idealen geometrischen Körpern – pure Spekulation. Erst mit dem Aufkommen der empirischen Naturforschung etablierte sich die Physik als eigene Methode, die seither auf dem Wechselspiel von mathematischer Theorie und technischem Experiment beruht.

Zum Philosophieren gezwungen

Doch die enormen Erfolge der Physik warfen stets Verständnisprobleme auf. Was ist ein Teilchen, was verstehen wir unter einem Feld? Was genau wirkt, wenn die Schwerkraft Körper anzieht? Und was schwingt, wenn wir Licht als Welle beschreiben? Ganz zu schweigen von den Deutungsfragen, mit denen sich Experten und Laien heute angesichts der Quantenmechanik herumschlagen. Die Begründer der Quantenphysik waren geradezu gezwungen, schlecht und recht zu philosophieren, um einigermaßen zu verstehen, was ihre umstürzend neuen Theorien besagten – und dieser Deutungsprozess ist bis heute nicht abgeschlossen. Auf diese Weise kommt die Naturphilosophie, die anfangs aus der Physik verdrängt wurde, nun erneut ins Spiel.

Ein historischer Rückblick ist immer geprägt vom heutigen Stand der Erkenntnis. Sieroka hebt zwei Aspekte der Naturerklärung hervor, die von Anfang an präsent waren und nun die moderne Physik dominieren: Mathematisierung und Symmetrie. Schon der antike Philosoph Platon (428-348 v. Chr.) und die ersten Atomisten sahen in symmetrischen geometrischen Körpern Urformen der Natur – eine Idee, die der Quantenphysiker Werner Heisenberg (1901-1976) gelegentlich wieder aufgriff.

"Teilchen" – ein irreführender Begriff

Die heutige Physik hat ein Abstraktionsniveau erreicht, bei dem der stofflich-handfeste Begriff des Teilchens so fragwürdig wird wie die Vorstellung, ein schwingendes Feld habe etwas mit Wasserwellen auf einem Teich zu tun. Übrig bleiben – so Sieroka – Begriffe wie Struktur und Symmetrie.

Quantenpartikel verhalten sich nichtlokal, als nicht individualisierbare Teile von quantenmechanischen Strukturen, und Quantenfelder sind nur beschreibbar durch unanschauliche Symmetrien in abstrakten mathematischen Räumen. Billiger ist der heutige Stand der Naturerkenntnis nicht zu haben; so sehr klaffen mathematische Beschreibung und umgangssprachliche Erklärung auseinander. Die Philosophen haben zwar ihre Rolle als Vorreiter der Naturerkenntnis längst eingebüßt, aber bei der Deutung physikalischer Theorien haben sie noch immer – und erst recht wieder – ein klärendes Wörtchen mitzureden. Das demonstriert Norman Sieroka sehr schön.

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