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Sechsbeinig, zahlreich, wichtig

Ein Wissenschaftsjournalist beschreibt die guten und die weniger guten Seiten der Kerbtiere.

Er habe die Liebe zu Insekten beim Präparieren – also dem Aufschneiden – von Heuschrecken entdeckt, schreibt der amerikanische Wissenschaftsjournalist David MacNeal am Anfang dieses Buchs. Das Bekenntnis ist ein gutes Beispiel für MacNeals ungewöhnliche Herangehensweise an die Welt der Insekten. In zehn Kapiteln beschreibt er, wie er immer tiefer in dieses Gebiet eintauchte, wobei er negative und positive Aspekte des Fachs aufgreift. Zugleich versucht er zu ergründen, welch vielschichtigen Beziehungen wir Menschen zu Insekten entwickelt haben. Die dabei erkennbare Gefühlsambivalenz zwischen Ekel und Angst, Neugier und Bewunderung dürfte auch so manchem Leser vertraut sein.

Kerb- und Spinnentiere

Statt seinem Werk eine kurze theoretische Einführung in die Klasse der Insekten, die artenreichste der Gliederfüßer, voranzustellen, nimmt MacNeal seine Leser gleich mit zu Hobbysammlern und Schmuckanbietern. Rasch widmet er sich dann der Erforschung der Lebensweise von Insekten – heute und in den frühen Tagen der Insektenkunde (Entomologie). Besonders kurios sind die vielen Arten, wie sich Insekten paaren – was der Autor seltsamerweise am Beispiel von Spinnen schildert, die in eine andere Klasse der Gliedertiere gehören. Zudem geht er auf Staaten bildende Insekten ein und schildert seinen Lesern, wie sich Ameisen organisieren, verständigen oder ihre erstaunlichen Riesennester konstruieren und wie Wissenschaftler dies erforschen.

Viele Menschen sehen Insekten immer noch in erster Linie als Schädlinge. MacNeal befasst sich mit diesem Aspekt, unter anderem indem er erzählt, wie er in New York mit einem Schädlingsbekämpfer auf Bettwanzenjagd ging. Auch thematisiert er die Gefahren durch Fraßschädlinge, etwa Heuschrecken oder Borkenkäfer. Und natürlich fehlen in seinem Buch nicht die krankheitsübertragenden Insekten. Schon vor Jahrhunderten haben sie Pest- und andere Epidemien ausgelöst und tun es heute noch, wie Malaria und Denguefieber beweisen. Der Unterschied liegt darin, dass man heute Insekten nicht mehr als Verursacher ansieht, sondern als Überträger von Keimen erkannt hat und mit anderen Mitteln darauf zu reagieren versucht, beispielsweise mittels Gentechnik. Mit geäußerten Zweifeln an Insektengiften (Insektiziden) und Gentechnik hält sich MacNeal hier sehr zurück, wenngleich er in den Raum stellt: »Möglicherweise haben wir unsere eigenen Waffen zerstört«.

Dem gegenüber stehen die zahlreichen positiven Seiten von Insekten, denen sich vor allem die zweite Buchhälfte widmet. Insekten gestalteten seit über 400 Millionen Jahren die Umwelt, schreibt der Autor; 80 Prozent der Nahrungspflanzen würden von ihnen bestäubt, andere Kerbtiere würden abgestorbenes organisches Material recyceln. Mal erzählt MacNeal von seinen Erlebnissen mit Forensikern, die Insekten zur Aufklärung von Verbrechen nutzen, mal von Begebenheiten mit Medizinern. Er streift die Bionik, bei der Insekten den Ingenieuren als Vorbild dienen, und widmet sich dem Einsatz von Insekten als Nutztiere. Ausgiebig teilt er seine Erfahrungen mit Seidenraupen und mit den Krabbeltieren oder ihren Maden als Nahrungsmittel, Letzteres besonders detailreich und auch gewöhnungsbedürftig. Deutlich positiv angetan ist der Autor dann auch von Bienen und ihrem wertvollen Honig.

Bei der Lektüre drängt sich die Frage auf, ob es wirklich so geschickt ist, die schädlichen Eigenschaften der Insekten in den vorderen Kapiteln zu behandeln. Denn dies wirkt abschreckend. Wer sich davon und von den teilweise unscharfen Erklärungen und Vergleichen nicht von der Lektüre abhalten lässt, wird mit einem umfassenden, den Blick weitenden Themenmix zur Welt der Insekten belohnt. Zugleich könnte es MacNeal mit seinem Buch gelingen, eine neue, jüngere Zielgruppe für Wissenschaftsbücher zu gewinnen, da er zum Vergleich oft moderne Sciencefiction-Filme und -Autoren heranzieht. Schade, dass der englische Originaltitel »The Insects. Who rule the world and the people« nicht sinngemäß übernommen wurde. Doch wird auch so bewusst, wie viele verschiedene Bereiche unseres Lebens Insekten prägen und beeinflussen.

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