Vom Alba-Trüffel zum Schwangerschaftstest
In Schweden ist der Verzehr von Pilzen noch nicht sehr alt. Sie galten lange nur als Viehfutter. Schleimige Konsistenz und Wachstum im Schatten rückten sie in die Nähe von Angst einflößenden Fantasiewesen wie Gespenstern und Trollen. Auch stellte man sich vor, sie würden nur dort wachsen, wo Menschen ihre Ausscheidungen hinterließen. Sie seien »ein streunendes Pack, das sich alles einverleibt, was zurückgelassen wurde, nachdem Flora sich im Herbst in ihr Winterquartier zurückgezogen hatte«, so beschrieb 1772 Carl von Linné sie in einer Rede über den »Liebreiz der Natur«.
Von Greifvögeln zu Pilzen
Dieses Bild hat sich inzwischen geändert. Der schwedische Biologe Jesper Nyström interessierte sich zunächst für Greifvögel überall auf der Welt. Mit seinem Buch über Pilze reiht er sich nun unter die Wissenschaftsautoren der Botanik ein. Dabei berührt er die Tatsache, dass Pilze keine richtigen Pflanzen sind, doch das spielt hier keine Rolle.
Der Autor leitet sein Werk mit der Frage seiner kleinen Tochter bei der Pilzsuche im Wald ein: »Warum kann man keine Pfifferlinge züchten?« Er kann sie noch nicht beantworten. In sechs weiteren Kapiteln und einem Epilog trägt er alles zusammen, was er braucht, um das Problem zu lösen. Dabei stößt er über Um- und Nebenwege auf neue Forschungsergebnisse.
Überschneidungen bei besonders interessanten Beispielen mit anderen Pilzbüchern lassen sich dabei natürlich nicht ganz vermeiden. Aber es sind genügend neue Informationen dabei, die das Werk absolut lesenswert machen. Zudem ist es schön aufgemacht: Die ganz- und teilweise sogar doppelseitigen Bilder sind exzellent.
Wahrscheinlich sind Pilze viel älter als bisher angenommen. Fossilisierte Hyphen eines Pilzmyzels fand man in 2,4 Milliarden Jahre altem Gestein aus Südafrika. Etwa 100 000 Arten sind bis heute beschrieben, 1200 weitere werden jährlich neu entdeckt – Experten schätzen, es könnte bis zu 1,5 Millionen geben. Es gibt also noch sehr viel zu erforschen. Allein ein Kilogramm Erde kann 600 Kilometer Hyphen enthalten, die zu Strängen verbunden ein weißes Geflecht bilden.
Bei etwa 95 Prozent der bekannten Blütenpflanzen legen sich solche Stränge um deren feine Wurzeln, umschließen sie dicht wie eine Haut oder dringen sogar ein. Der Pilz bekommt nun – weil er es selbst mangels Chlorophyll nicht kann – von der grünen Pflanze Zucker, im Gegenzug gibt er ihr Nährsalze und Wasser. Um 1995 gelang es Suzanne Simard in Kanada, mit radioaktiv markiertem CO2 nachzuweisen, dass Tannen und Birken über diese unterirdischen »Kabel« auch Informationen übermitteln. Seitdem bürgerte sich die (nicht besonders glücklich gewählte) Metapher »Wood Wide Web« dafür ein.
Bekannter für Zusammenarbeit sind Flechten. Der Autor liefert neue Überlegungen, die Symbiose oder das Gegenteil davon einzuordnen: Wer parasitiert wen? Auch zu den Hefepilzen gibt es neben der Gärung manches, was man so noch nicht gelesen hat. Nyström geht insbesondere der Entdeckung des Penizillins (»der beste Freund des Menschen«) nach. Dabei schildert er sehr genau, was passiert, bis die Bakterien absterben. Das dazugehörige Kapitel führt auch in die aktuelle Problematik ein, die es mit den heutigen Antibiotika gibt – von Krankenhäusern bis zu industriellen Viehställen.
Im Buch erfährt man, was man neben dem Verzehr einiger weniger Speisepilze (mit Preisen von teilweise über 300 000 Euro für 1,5 Kilogramm Alba-Trüffel) noch alles mit Pilzen machen oder aus ihnen gewinnen kann: Leder, Legosteine, Rauschmittel, Schwangerschaftstests, Biokraftstoff … Auf der anderen Seite listet der Autor auch die furchtbaren Schäden in der Landwirtschaft, in Häusern oder als oft tödlich verlaufende Krankheiten bei Mensch und Tier auf.
Allerdings wird nicht jedem der Sprachstil gefallen, etwa: Wenn es Penizillin (in der Wunde) gäbe, »wäre für das Bakterium Game over« oder »eklig kackbraune(r) Pilzbeläge in der Reaktoranlage von Tschernobyl«, oder Pilze, »… die 300 Jahre nach dem Meteoriteneinschlag (…) dort unten Party machten«, »die 60 Millionen Jahre andauerte, bevor dann Schluss war mit lustig« oder eine Abbildung mit der Bildunterschrift: »Ein echter Scheißpilz.«
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