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Die Geschichte hinter BioNTech

Joe Miller beschreibt zusammen mit den BioNTech-Gründern Özlem Türeci und Uğur Şahin, wie die beiden Wissenschaftler den ersten Covid-19-Impfstoff entwickelt und in weniger als einem Jahr auf den Markt gebracht haben.

Lohnt es sich, heute noch ein Buch über die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 zu lesen? Inzwischen gibt es zwar mehrere Vakzine, die Pandemie ist allerdings noch nicht beendet. Die Lektüre lohnt sich durchaus. Denn beim Lesen wird klar, wie der BioNTech-Impfstoff so schnell entwickelt wurde; welche Vorarbeiten geleistet und welche Hürden überwunden wurden.

Außerdem bietet das Buch viel Hintergrundwissen zu mRNA, zu Impfungen und Impfstoffen allgemein, zum Immunsystem und zu Immuntherapien. Die Autorin und die Autoren behandeln dabei nicht nur wissenschaftliche Aspekte, sondern auch wirtschaftliche: etwa die Rolle von Investoren, die Zusammenarbeit mit anderen Pharmaunternehmen, die Herausforderungen bei der Produktion großer Mengen sowie die Verhandlungen über Impfstoffdosen mit der EU. Zum Schluss gehen die Autoren auf mögliche weitere Anwendungen der mRNA-Technik ein – nicht nur bei Krebs. Dort begann nämlich die Forschung der beiden Mediziner zu mRNA.

Keine Zeit zu verlieren

Uğur und Özlem – so werden die beiden Ärzte im Buch genannt – haben ihr Projekt der Covid-19-Impfstoffentwicklung schon zu Beginn »Lightspeed« genannt: Sie setzten bei allen Prozessen auf Geschwindigkeit, um der Pandemie etwas entgegenzusetzen. Betrachtet man einige Daten, erkennt man, dass der erste Impfstoff extrem schnell entwickelt wurde:

    24. Januar 2020: Uğur liest zum ersten Mal von dem Ende 2019 neu aufgetretenen Coronavirus in Wuhan/China. Er recherchiert und erkennt das Risiko für eine Pandemie – und die Notwendigkeit eines Impfstoffs. Zu diesem Zeitpunkt gab es weltweit weniger als 1000 bestätigte Fälle.
    25. Januar 2020: Uğur und Özlem fassen den Entschluss, einen Impfstoff herzustellen; am nächsten Tag hat Uğur die ersten acht Impfstoffkandidaten erdacht. Am 27. Januar gibt es den ersten bestätigten Fall in Deutschland.
    11. März 2020: Ein erster Impfstoff wird Mäusen injiziert – die WHO erklärt Covid-19-Infektionen zur Pandemie.
    23. April 2020: Dem ersten Studienteilnehmer wird ein Impfstoff gegen Covid-19 verabreicht.
    2. Dezember 2020: erste Zulassung des Impfstoffs in Großbritannien.
    8. Dezember: erste Impfung außerhalb von Studien in England: Die fast 91-jährige Maggie Kennan wird in Coventry geimpft. 21. Dezember: Zulassung in der EU.

Normalerweise dauern Impfstoffentwicklungen Jahre – hier wurden alle Prozesse beschleunigt, aber ohne Studienphasen auszulassen. In zehn Kapiteln beschreiben die Autoren detailliert und mit Zeitangaben, wie sie zusammen mit ihrem Team und ihren Partnern diese Beschleunigung geschafft haben.

So arbeitete BioNTech schon früh mit der zuständigen Zulassungsbehörde zusammen, dem Paul-Ehrlich-Institut, um die klinischen Studien vorzubereiten. Außerdem forschte das Ehepaar seit vielen Jahre an Immuntherapien gegen Krebs, BioNTech hatte daher »einen beachtlichen Schatz an Kenntnisse und Technologien angehäuft«, die sich nun auch zur Abwehr von Krankheitserregern einsetzen ließen. Denn: »Innovation geschieht nicht auf einen Schlag«, so Özlem.

Die richtige mRNA mit der Vorlage für das richtige Antigen genügt allerdings nicht für einen wirksamen Impfstoff – er muss auch »verpackt« werden, damit er im Körper nicht zu schnell abgebaut wird. Nicht nur hier wird deutlich, dass BioNTech die Zusammenarbeit mit vielen Partnern benötigte: So wird mit der Lipidmischung der kanadischen Firma Acuitas die mRNA von BioNTech von der österreichischen Firma Polymun verpackt.

Für die klinischen Studien, aber auch für Marketing und Vertrieb brauchte BioNTech große Pharmafirmen als Partner in den USA und in China. Die Kooperation mit dem US-Pharmariesen Pfizer begann schon 2018, als beide Firmen beschlossen, zusammen einen mRNA-Grippeimpfstoff zu entwickeln. Genau beschrieben werden die Verhandlungen mit Pfizer, die nicht immer einfach waren. Die Autoren beschreiben auch Herstellungsschwierigkeiten: Zum Beispiel »musste nur einer der 50 000 Arbeitsschritte im Produktionsprozess schiefgehen, damit die Dosen als unbrauchbar gelten«.

Im letzten Kapitel »Die neue Normalität« erörtern sie noch Themen wie Mutationen, die zu gefährlicheren Varianten von Sars-CoV-2 führen könnten – was sich zwischenzeitlich durch die Delta-Variante bewahrheitete – und mögliche Auffrischimpfungen, die inzwischen auch Realität wurden.

Koautor Miller, Korrespondent der »Financial Times« in Frankfurt, verbrachte für das Buch »viele Stunden mit den beiden Ärzten« und führte »Gespräche mit rund 60 Personen bei BioNTech und anderswo«. Immer wieder beschreibt er auch die Persönlichkeit der beiden Forscher. »Ihre Philosophie, in der Wissenschaft und auch im Leben, lautete schon immer, sich auf gute Ideen zu konzentrieren, unabhängig von der nationalen Herkunft.« So wundert es nicht, dass die Mitarbeiter des Teams »Lightspeed« aus mehr als 60 Ländern stammen, mehr als die Hälfte sind Frauen.

Das Forscherpaar blickt optimistisch in die Zukunft: »Die Entwicklung des Corona-Impfstoffs profitierte von der Krebsforschung, und jetzt werden unsere Krebsprogramme vom Erfolg unseres Corona-Impfstoffs profitieren«, so Uğur. Auch Impfstoffe gegen Grippe, Malaria, Tuberkulose und HIV seien in Entwicklung. Künftig könnte die Fähigkeit von mRNA genutzt werden, »um alles Mögliche zu bekämpfen, von Allergien bis Herzerkrankungen«. Özlem: »Wir glauben, dass diese Technologien eine neue Revolution mit sich bringen werden. Das war erst der Anfang.«

Das »Projekt Lightspeed« ist eine lesenswerte ausführliche Dokumentation der Entwicklung des ersten Covid-19-Impfstoffs: von der Idee bis zur Marktreife mit Ausblick, spannend erzählt, mit vielen Hintergrundinformationen – wenn auch manchmal sehr detailliert. Man spürt die Faszination von Miller für das Ärztepaar immer wieder, so auch im Epilog: »Der entscheidende Wirkstoff hinter dem Vakzin BNT162b2 war nicht die RNA: Es waren vielmehr Uğur Şahin und Özlem Türeci.«

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