»Quantenphysik für Fußgänger«: Zu Fuß durch Unbestimmtheit und Kryptografie
Harald Lesch ist überall: im Fernsehen und Internet, bei Vorträgen oder auf dem Buchmarkt. Es gibt wohl kaum ein wissenschaftliches, philosophisches oder gesellschaftliches Thema von größerer Relevanz, zu dem sich der Astrophysiker der Universität München nicht geäußert hat. Und nur wenige haben so viele populärwissenschaftliche Bücher veröffentlicht wie er – selbst prominente Vorgänger wie Heinz Haber, Hoimar von Ditfurth oder Joachim Bublath übertrifft Lesch deutlich. Manche fragen sich staunend, woher er wohl die Zeit für all das nimmt. Bei seinen Büchern sind es oft Leschs Co-Autoren – meist Mitarbeiter oder Kollegen –, die, so darf man annehmen, einen Großteil der Arbeit übernehmen. Was also ist von diesem Werk zu halten, das Lesch gemeinsam mit seiner Frau Cecilia Scorza-Lesch, einer promovierten Astrophysikerin, vorlegt?
Das kleinformatige, 160 Seiten umfassende Buch ist bereits das dritte des Universalgelehrten, das sich an »Fußgänger« richtet – zuvor waren diese in Sachen Kosmologie und Philosophie unterwegs. Trotz der Komplexität des Themas kommt diese Darstellung der Quantenphysik fast gänzlich ohne Formeln aus. Der locker geschriebene Text gliedert sich in 24 kurze Kapitel und enthält einige Schwarz-Weiß-Abbildungen. Am Ende findet man Literaturhinweise und ein Register. Seltsam ist, dass dort »elektromagnetische Strahlung« und »elektromagnetischen Strahlung« sowie »Magnetfeld« und »Magnetfelder« enthalten sind. Dagegen fehlen viele im Text genannte Personen – Platz wäre gewesen. Insgesamt gibt es nur wenige inhaltliche oder redaktionelle Mängel, etwa bei einigen Zahlen und Formeln: »10 -34« erscheint mit Leerzeichen, »me x c2« ist etwas unglücklich dargestellt.
Die ersten fünf Kapitel liefern die historischen und physikalischen Grundlagen, wobei »Was ist Quantenmechanik?« das schwierigste Kapitel ist. Hier geht es um drei fundamentale »Gebote«, die dem gesunden Menschenverstand widersprechen. Der gemeine Fußgänger dürfte Mühe haben, den theoretischen Ausführungen – noch ohne konkrete Beispiele – zu folgen. Anschaulicher wird es in den weiteren Kapiteln: Hier startet die »Reise in die Quantenwelt von der Fotosynthese bis zur Kryptografie«.
Die seltsamen Regeln des Mikrokosmos sind durch unzählige Experimente bestätigt. Sie liefern tiefgründige Erklärungen für alltägliche Prozesse wie die Atmung, das Sehen oder die Fotosynthese. Die Autoren diskutieren viele physikalische Phänomene wie Magnetismus oder Radioaktivität und lüften auch das »quantenmechanische Geheimnis der Festkörper«. Einige Kapitel behandeln technische Anwendungen: Computer- und Kernspintomografie, Laser, Atomuhren, Solarzellen, Smartphones, zukünftige Fusionsreaktoren und Quantencomputer. Hier erlauben »Qubits« nicht nur superschnelle Berechnungen, sondern auch eine völlig neue Art der Kryptografie. Der Preis: eine extreme Empfindlichkeit der verschränkten Prozesse gegenüber Umwelteinflüssen.
Aber auch der Makrokosmos ist ohne Quantenphysik nicht denkbar, wie die stellare Energieerzeugung, die Existenz von Neutronensternen oder die kosmische Hintergrundstrahlung zeigen. Dass es in den Kapiteln zu diesen Themen eine gewisse Redundanz gibt, stört nicht. Die stetige Wiederholung fördert das Verständnis. Der Fußgänger sollte sich ein ruhiges Plätzchen suchen, denn das Lesen erfordert einiges an Konzentration. Wer dies berücksichtigt, erfährt von Harald Lesch und seiner Frau viel über die paradoxe Welt der Quanten, die weder Welle noch Teilchen sind, solange keine Messung stattfindet. Wir müssen uns damit abfinden, dass Begriffe wie »Realität« und »Lokalität« ihre vertraute Bedeutung verlieren.
Die vor 100 Jahren von Erwin Schrödinger und Werner Heisenberg entwickelte Theorie hat Wissenschaft und Technik fundamental verändert – letztlich beruht alles auf Quantenmechanik. Gleichzeitig ist Skepsis gegenüber der Annahme angebracht, mit den Mitteln der Quantenmechanik lasse sich alles erklären. Wie Lesch flapsig formuliert: »Die Physik beantwortet die ›vorletzten‹ Fragen danach, wie die Welt ist. Sie hat keine Antwort auf die Frage, warum die Welt ist.«
Es gibt gerade heute erstaunlich viele Menschen, die wissenschaftliche Erkenntnisse generell anzweifeln und so auch Konzepte der Quantenmechanik wie Unbestimmtheit, Verschränkung oder Dualismus für Fake News halten. Konsequenterweise müssten solche Zeitgenossen dann aber auch auf die Erkenntnisse einer Positronen-Emissions-Tomografie verzichten und einen Großteil der Technologien, die ihnen im Alltag lieb und teuer sind, in den Müll werfen – angefangen beim Smartphone, über das Wissenschaftsskepsis so gern verbreitet wird.
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