»Rauch und Asche«: Das erste Drogenkartell der Geschichte
Von den Opiumkriegen haben wohl die meisten von uns schon einmal gehört. Die verschlungenen Hintergründe und weit reichenden Folgen dieser perfiden Attacken des britischen Empire gegen China sind jedoch weit weniger bekannt. Amitav Ghosh, der vielfach ausgezeichnete Romanautor und Essayist, hat diese für sein historisches Sachbuch »Rauch und Asche« erforscht. Dabei deckt er Verbindungen des kolonialen Opiumhandels nicht nur zu seiner eigenen Familie auf; er stellt auch Bezüge her zu Arthur Wellesley, »1st Duke of Wellington«, einem Helden der napoleonischen Kriege, außerdem zu Rudyard Kipling, George Orwell, der niederländischen Königsfamilie und vielen anderen.
Ghosh dokumentiert so den Einfluss des Opiums auf die Weltgeschichte in der Neuzeit, der bis in die Gegenwart hineinreicht. Immer wieder zieht er dabei den Vergleich mit einem Krankheitserreger, der mutiert und auf unterschiedliche Weise an immer neuen Orten für wiederkehrende Epidemien sorgt. Freilich werden die Blüten der Schlafmohnpflanze Papaver somniferum erst durch erhebliche menschliche Eingriffe zur Droge Opium. Außerdem ermöglicht Opium – was Ghosh ebenfalls einräumt – bis heute zahlreiche medizinische Anwendungen, die, wenn sie das Opium in entsprechenden Darreichungsformen nutzen, auch risikoärmer sind. Um die immer wiederkehrenden »Suchtpandemien« – von den Opiumkriegen bis hin zur aktuellen Fentanylkrise – zu erklären, beleuchtet der Autor auch die Eingriffe verschiedener Akteure, die ein Interesse an der Verbreitung der Droge hatten.
Das trifft insbesondere auf die Briten selbst zu, die im 18. und 19. Jahrhundert in Indien Opium für den chinesischen Markt anbauten; die eindrückliche Beschreibung dieses Aspekts macht einen wesentlichen Teil des Buches aus. Dabei wird deutlich, dass der Erfolg des Opiums auf dem »Markt« vor allem militärischen Zwangsmaßnahmen zu verdanken war – und nicht, wie von den britischen Kolonialherren propagiert, dem »Freihandel« und dem »technologischen Fortschritt«.
Die Folgen dieser Politik sind bis in die Gegenwart hinein spürbar. Anschaulich und detailliert stellt Ghosh dar, wie das brutale Kolonialregime der »East India Company« die Region Bihar im Osten Indiens durch Zwang und Unterdrückung der lokalen Bevölkerung nahezu komplett in ein monokulturelles Mohnanbaugebiet verwandelte – was unter anderem dazu führte, dass diese Region bis heute zu den ärmsten Indiens gehört. Denn Schlafmohn ist keineswegs eine ertragreiche Pflanze – seine Verarbeitung zu Opium ist kompliziert und langwierig. Dennoch ließen die Kolonialherren nicht zu, dass die Einwohner Reis oder andere Nutzpflanzen anbauten, die ihnen das Überleben hätten sichern können, und vergrößerten so deren Abhängigkeit vom Empire noch weiter. In ihren Methoden, die Herstellung, den Verkauf und den Konsum der Droge zu erzwingen, unterschied sich die »East India Company« kaum von modernen transnationalen Drogenkartellen, wie der Autor anschaulich darlegt.
Die Kapitel des Buchs bauen zwar thematisch aufeinander auf, folgen aber keiner streng chronologischen oder geografischen Logik. Dadurch bleibt der Text spannend. Ghosh verknüpft die Geschichte Indiens mit der Chinas, Großbritanniens und der USA sowie die Historie des Opiums mit der des Tees – einer weiteren exotischen Kulturpflanze, welche die Welt verändert hat und deren Verbreitung mit der des Opiums eng verflochten ist. Der Autor zieht dabei immer wieder Parallelen zwischen Geschichte und Gegenwart, etwa zum Opiumgeschäft im heutigen Afghanistan.
Packend geschrieben – mit leichten Abzügen in der B-Note
Insgesamt liest sich das Werk genauso fesselnd, wie man es von einem Sachbuch aus der Feder eines gefeierten Romanciers erwarten kann. Das gilt größtenteils auch für die deutsche Übersetzung von Heide Lutosch, auch wenn deren Bearbeitung im Lektorat mitunter etwas genauer hätte sein können. So macht etwa die inkonsistente Übersetzung von »East India Company« – manchmal in »Ostindien-Kompanie« oder »Kompanie«, dann wieder nur in »Company« oder gar nicht verändert – das Lesen an einigen Stellen ein wenig holprig. Auch die Übersetzung oder Nichtübersetzung von Ortsnamen wie »Bombay«/»Mumbai« oder »Kalkutta«/»Kolkata« scheint keiner klaren Regel zu folgen. Dies tut der insgesamt hohen Qualität des Textes allerdings kaum einen Abbruch. Obwohl das Werk in Aufbau und Stil an einen Roman erinnert, verfügt es doch über den informativen Charakter eines guten Sachbuchs und bietet eine umfassende Bibliografie.
»Rauch und Asche« ist ein sehr erhellendes Werk darüber, wie eine Pflanze die Menschheitsgeschichte beeinflusst hat und weiter prägt. Und es zeigt, wie das britische Empire seine Macht gewaltsam unter dem Deckmantel des freien Marktes ausübte und wie seine Kolonialherrschaft bis heute nachwirkt.
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