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»Rauschen in der Nacht«: Wildgänse sind einfach überall

Wildgänse faszinierten nicht nur Konrad Lorenz und die Wissenschaft. Auch in Kunst und Politik spielen sie tragende Rollen, wie Thomas Steinfeld herausgefunden hat.

Der Journalist und Schriftsteller Thomas Steinfeld hat bereits eine Reihe interessanter Bücher zu ganz unterschiedlichen Themen vorgelegt, etwa »Italien«, »Goethe«, »Der Sprachverführer« oder auch Werke zu philosophischen Fragen. Nun widmet er sich dem Verhalten von Graugänsen und ihrer Bedeutung für verschiedene Wissensgebiete. Angesichts thematisch verwandter Veröffentlichungen der letzten Jahre (etwa "Die erstaunliche Welt der Graugänse", "Konrad Lorenz" oder "Lorenz") möchte man fast von einem Trendthema sprechen.

Gänse faszinieren die Menschen seit Langem, und als Wildvögel tun sie dies erst recht. Der wohl bekannteste Beleg dafür sind die Forschungsarbeiten von Konrad Lorenz, der diese Vögel als ideale Studienobjekte für das Verhalten von Tieren ansah. Viele verhaltensphysiologische Erkenntnisse und insbesondere die systematische Untersuchung des Verhaltens von Gänsen in den 1930er Jahren waren wesentlich für die Etablierung eines neuen wissenschaftlichen Forschungsgebiets innerhalb der Zoologie: der Ethologie (Verhaltensforschung).

Die Wildgans weckte vor allem in Schweden und im deutschen Sprachraum ab etwa der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch bei Laien ein breites Interesse, denn frühe Naturforscher beschrieben dieses Tier und sein Verhalten ausführlich. So finden sich in John James Audubons »The Birds of America« zahlreiche handkolorierte Abbildungen, ebenso in der hierzulande damals populären »Naturgeschichte der Vögel Deutschlands«. Auch in zeitgenössischen Gedichten oder »Brehms Tierleben« wurde die Gans häufig thematisiert. Dieser Lexikoneintrag hat dann auch, so Steinfeld, Selma Lagerlöf bei der Arbeit an ihrem Roman »Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden« inspiriert.

»Ikonisches Tier« und »Sehnsuchtsvogel«

Für Steinfeld ist die Wildgans »in hohem Maße ein ikonisches Tier«, das »eine lange Kulturgeschichte mit sich herumträgt« und Evolutionsbiologie wie Literatur inspiriert hat – etwa Werke von Bertolt Brecht, Hannah Arendt und Konrad Lorenz. Der Titel von Steinfelds Buch stammt aus einem Gedicht von Walter Flex aus dem Jahr 1916. Und der Schriftsteller W. G. Sebald sah in der Wildgans einen »Sehnsuchtsvogel«.

Das »Rauschen in der Nacht« besteht aus drei Teilen, die jeweils ähnlich ausführlich sind. »Die Gans geht auf die Reise« erzählt zunächst, wie die Wildgans vor allem in Nordeuropa wahrgenommen wurde. Der zweite Teil »Die Gans zieht in dem Kampf« berichtet neben anderen Beispielen auch davon, wie der Flugpionier Otto Lilienthal das Verhalten der Vögel erforschte, um seine Erkenntnisse als Grundlage für den Bau seiner Fluggeräte zu nutzen. Und auch bei der frühen »Erfindung des Naturschutzgebiets« (wie ein Unterkapitel im zweiten Teil überschrieben ist) spielte die Gans eine bedeutende Rolle.

Der dritte Teil trägt den etwas pathetischen Titel »Die Gans erlöst die Welt«. Darin werden unter anderem »Konrad Lorenz und die Entstehung der Verhaltensforschung« ausführlich vorgestellt. Dass das Interesse am Verhalten der Tiere auch technische Innovationen förderte, illustriert der Autor am Beispiel des schwedischen Tierfotografen und Schriftstellers Bengt Berg, der erstmals Fotos von überraschend weit entfernt fliegenden Vögeln veröffentlichte. Für den Tierfilm »Die letzten Adler« (1929) wurde extra eine Filmkamera auf einem Doppeldecker montiert, um die Tiere im Flug einzufangen – die eindrucksvollen Aufnahmen steigerten noch einmal das Interesse an diesen besonderen Vögeln.

Steinfeld beschreibt anschaulich, wie die vergleichende Verhaltenslehre von Konrad Lorenz auch zu einem Wandel im öffentlichen Bewusstsein beitrug. Im Jahr 1972 veröffentlichte der Club of Rome die Studie »Die Grenzen des Wachstums«. Gleichzeitig präsentierte in Deutschland eine Gruppe prominenter Naturwissenschaftler das sogenannte Ökologische Manifest – neben Konrad Lorenz wirkten daran auch bekannte Persönlichkeiten wie Bernhard Grzimek, Hubert Weinzierl und Irenäus Eibl-Eibesfeldt mit. »Die Gruppe Ökologie«, als deren Sprecher Konrad Lorenz das Manifest seinerzeit veröffentlichte, gilt als eine Keimzelle der Umweltbewegung in Deutschland. So illustriert Steinfeld eindrücklich, dass Wildgänse erheblichen Einfluss sogar auch auf politische Entwicklungen hatten.

Der Text ist in einem gut lesbaren und angenehmen Stil verfasst. Zehn Schwarz-Weiß-Abbildungen lockern die Darstellung auf. Besonders hervorzuheben ist das ausführlich kommentierte Literaturverzeichnis im Anhang. Es ermöglicht nicht nur das Nachschlagen relevanter Veröffentlichungen, sondern gibt auch einen guten Überblick über deren Schwerpunkte und Inhalte.

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