Direkt zum Inhalt

Im Schatten des World Wide Web

Anonymität bringt Kriminalität mit sich. Doch das Darkweb ist nicht nur ein Schauplatz illegalen Handels, sondern bietet auch Whistleblowern oder Bürgern repressiver Regime einen sicheren Hafen.

Schon der Name mutet düster an: Darknet. Eine Art Schatten des Internets, in dem sich Kriminelle tummeln, um mit Drogen, Waffen oder Kinderpornos zu handeln. Doch wie die Journalisten Daniel Mützel und Theresa Locker schon im Einstieg klarstellen, ist das Darknet technisch gesehen bloß ein abgeschottetes Netzwerk innerhalb des Internets, in dem man sich anonym bewegen kann, ohne dass sich die eigenen Handlungen zurückverfolgen lassen. Natürlich nutzen das Kriminelle, doch das Darknet hat auch positive Seiten: Beispielsweise bietet es Menschen in repressiven Systemen, die verfolgt werden, Schutz.

Prominente Fallbeispiele

Dennoch konzentriert sich der Großteil des Buchs auf die negativen Aspekte des Darknets. Nach einer kurzen Einführung zur Funktionsweise und Definition stellen die Autoren die prominentesten deutschen Fallbeispiele illegalen Treibens im Darknet vor. In ihrer fünfjährigen ausführlichen Recherche trafen sich Mützel und Locker sowohl mit aufgeflogenen Kriminellen als auch mit deren Anwälten, die sie in ihrem Werk immer wieder zu Wort kommen lassen. Das macht die Lektüre spannend und kurzweilig. Zudem streuen die Journalisten immer wieder Fakten und Studienergebnisse ein, so dass man – fast unbemerkt – einiges dazulernt.

Anfangs widmen sich Mützel und Locker dem Drogenhandel, mit dem ein beträchtlicher Anteil des illegal umgesetzten Geldes im Darknet gemacht wird. Am Beispiel der Kriminellen »Shiny Flakes« und »z100«, mit denen die Journalisten, sogar noch bevor diese festgenommen wurden, in Kontakt standen, erläutern sie, wie in Deutschland Online-Marktplätze für allerlei Drogen entstanden, die weit über die Grenzen hinaus bekannt waren. Und wie schließlich kleinere Fehler dazu führten, dass die Polizei die Verantwortlichen überführte. Dass sich die deutschen Beamten dabei nicht immer geschickt anstellten, heben die Autoren an mehreren Stellen hervor: Unter anderem nahm ein verdeckter Ermittler Kontakt auf, wobei er den illegalen Händler siezte (was in der Darknet-Szene absolut unüblich ist) und um ein persönliches Treffen bat. »Allein die Frage nach einem Treffen im Real Life [stellt] einen gravierenden Verstoß« gegen die Regeln der meisten Darknet-Foren dar, erklären Mützel und Locker.

Die folgenden Kapitel gehen auf den illegalen Handel mit Waffen im Darknet ein. Darin berichten die Journalisten, wie ein gelangweilter Student Zierwaffen aus dem Ostblock wieder funktionstüchtig machte und online verkaufte. Während Studien zufolge im Darknet monatlich etwa 10 bis 20 Millionen Euro mit Drogen umgesetzt werden, sind es bei Waffen nur zirka 70 000 Euro. Dennoch spielen die Autoren keineswegs die Bedeutung des Waffenhandels herunter, lassen Experten zu den Statistiken einordnend Stellung nehmen und führen einen rechtsextremen Anschlag in München auf, bei dem der Täter seine Waffe im Darknet erworben hatte.

Anschließend folgen Kapitel, die etwas genauer auf die technischen Aspekte des Internets – und des Darknets – eingehen. Dieser Abschnitt wirkt an dieser Stelle fehl am Platz, am Anfang des Buchs hätte er sich wahrscheinlich besser eingefügt. Indem die Autoren aber den Aspekt der Anonymität nochmals hervorheben, wird im folgenden Kapitel verständlich, warum das abgeschottete Netzwerk innerhalb des Internets für Whistleblower und syrische Demonstranten, die sich gegen ihre Regierung auflehnten, eine zentrale Rolle spielte.

Das Ende des Buchs handelt von der wohl abscheulichsten Seite des Darknets: Plattformen, in denen pornografische Inhalte von Kindern ausgetauscht und gehandelt werden. Am Beispiel von »Elysium« und anderen Websites erklären die Journalisten, wie Polizisten in diesem Bereich ermitteln, die Inhalte vom Netz nehmen und die Täter überführen. Dabei beleuchten Mützel und Locker den Zwiespalt, in dem sich die Beamten befinden: Lässt man eine Website länger online, um mehr Kriminelle zu fassen, oder schützt man lieber die Opfer und schaltet die Plattform so schnell wie möglich ab?

Auch bei den anderen Beispielen stellen die Autoren kritische Fragen, etwa was den Drogenhandel angeht: Durch die illegalen Marktplätze, bei denen Kunden wie bei Amazon oder Ebay die Händler bewerten, können Käufer sicherstellen, ein qualitativ hochwertiges Produkt zu erhalten. Zudem läuft die Beschaffung der Substanzen gewaltfrei ab – anders als auf der Straße. Auf der anderen Seite stellen die professionellen Websites eine niedrigere Einstiegshürde für viele Konsumenten dar.

Insgesamt richtet sich das Buch an Leser, die noch nicht viel über das Darknet wissen, denn es enthält sehr wenige technische Details. Vielmehr liefert es einen spannenden Einblick in eine Welt, die sich im Schatten von Google und Co. abspielt und den meisten Internetnutzern entzieht.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Eine Pipeline quer durch die Artenvielfalt

In einigen der artenreichsten Naturräumen Ostafrikas entsteht eine 1445 km lange Öl-Pipeline. Der daran geknüpfte erhoffte Wohlstand ist ungewiss, der gigantische Umweltschaden jedoch ohne Zweifel. Wie es dazu kam, lesen Sie in der aktuellen »Woche«. Außerdem: die Debatte um KI als öffentliches Gut.

Spektrum Psychologie – Kann die Persönlichkeit krank machen?

Der eine frisst den Ärger in sich hinein, der andere geht beim kleinsten Ärgernis in die Luft. Werden mache Menschen deshalb eher schwer krank? Das klären wir in dieser Ausgabe. Außerdem erzählen wir die Geschichte von Ella und ihren zwölf Ichs und beleuchten die Vor- und Nachteile des Auswanderns.

Spektrum Kompakt – Gewaltkriminalität - Der Umgang mit schweren Verbrechen

Schwere Gewalt gegen andere weckt Fassungslosigkeit - und sorgt auch oft für laute Rufe nach strengeren Strafen. Doch vor dem Urteil steht eine genaue Analyse der Tat. Und ebenso wichtig ist die Frage: Wie hilft man den Opfern?

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.