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Medizinethik im Angesicht von Seuchen

Der Mediziner und Schriftsteller Michael Lichtwarck-Aschoff beschreibt anhand fiktiver Episoden unschöne Aspekte vom Leben und Wirken des Nobelpreisträgers.

Seit das Robert Koch-Institut durch die Corona-Pandemie fast täglich in den Nachrichten vorkommt, rückt auch sein Namensgeber, der Mediziner, Mikrobiologe und Hygieniker Robert Koch (1843–1910), verstärkt in den Fokus des öffentlichen Interesses. In dem Buch »Robert Kochs Affe« beschreibt der Mediziner und Schriftsteller Michael Lichtwarck-Aschoff anhand fiktiver Episoden unschöne Aspekte des Lebens und Wirkens des Nobelpreisträgers. Titelgebend ist ein Affe, den Koch als Forschungsobjekt und Haustier hielt.

Fließender Übergang zwischen Fakt und Fiktion

Der Sprachstil ist an die Zeit angelehnt und vermittelt durch förmlich-umständliche Formulierungen einen Eindruck, wie die handelnden Personen gesprochen und gedacht haben könnten. Allerdings nimmt es der Autor mit historischen Details nicht allzu genau und lässt im Unklaren, welche Inhalte auf Recherchen und Tatsachen beruhen und was seiner Fantasie entsprungen ist. In der Nachbemerkung schreibt er lediglich, die Episoden seien zwar »fiktional«, aber »das Wenigste ist frei erfunden«.

Der erste Teil des Buchs widmet sich detailliert dem Haushalt Robert Kochs in Berlin im Sommer 1903: dem Jahr, als Robert Koch im Rahmen seiner Kampagne gegen die damals verbreitete Seuche Typhus Massentests und weit reichende Isolationsmaßnahmen verordnete. Einen Blick auf diese Arbeit bekommt man allerdings nur durch die Augen von Kochs erster Frau Emmi, die im Roman aus Briefen und Berichten davon erfährt. Der Mediziner kommt dabei eher als Nebenfigur vor, seine Forschungen werden lediglich am Rande erwähnt. Der Fokus liegt stattdessen auf dem zugleich banal und exzentrisch wirkenden Alltag von Emmi, die der Erzählung zufolge den Sommer mit dem Forscherehepaar Walther und Fanny Hesse im Hause Koch verbringt.

Tatsächlich waren Robert und Emmi Koch zu diesem Zeitpunkt jedoch seit zehn Jahren geschieden und der Mediziner bereits mit seiner zweiten Frau Hedwig verheiratet. Auch die Zusammenarbeit mit Walther Hesse fand schon 1881 bis 1882 statt; und mehrere Entdeckungen, die Lichtwarck-Aschoff in den Sommer 1903 setzt, stammen aus den vorangegangenen Jahren und Jahrzehnten.

Auch im zweiten Teil des Buchs wählt der Autor eine Perspektive, die die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion verschwimmen lässt. Hauptfigur ist in diesem Fall ein fiktiver Soldat, der 1906 an Kochs Afrika-Expedition im Kampf gegen die Schlafkrankheit teilnimmt und 20 Jahre später einem ebenfalls erdachten Nervenarzt von seinen damaligen Erlebnissen erzählt. Auch in diesem Teil spielt Koch lediglich eine Nebenrolle – der Soldat berichtet, ihn niemals persönlich getroffen zu haben.

Die Erzählung vermittelt eindrücklich die immer trostlosere und verzweifeltere Stimmung in dem fiktiven ostafrikanischen Lager, während die Seuche immer mehr Todesopfer fordert und die Therapieversuche mit Chinarinde und Atoxyl zwar starke Nebenwirkungen entfalten, aber nicht die gewünschte Heilung bringen. Zugleich spiegelt der Erzählstil den verwirrten Geisteszustand des Soldaten wider: Der Bericht ist langatmig, wiederholt sich, und ihm fehlt oft der rote Faden. Auch wenn die Leser sich so besser in die Situation hineinversetzen können, leidet das Lesevergnügen darunter.

Der dritte Teil des Werks ist aus der Perspektive der US-amerikanischen Ärztin Sara Josephine Baker (1873–1945) erzählt, die an den Untersuchungen der berühmten Typhus-Patientin Mary Mallon (genannt »Typhoid Mary«) beteiligt war. Mallon war die erste identifizierte asymptomatische Überträgerin von Typhus. Das heißt, sie schied infektiöse Erreger aus, ohne selbst zu erkranken. Um zu verhindern, dass sie weitere Menschen ansteckte, wurde Mallon mehr als 23 Jahre lang zwangsweise isoliert. Aufhänger der Erzählung ist eine Begegnung von Baker und Koch während dessen Amerikareise 1908.

Ein wiederkehrendes Motiv, welches das Buch durchzieht, ist der Zweifel an Kochs Erkenntnissen und Methoden, insbesondere in Bezug auf asymptomatische Überträger. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der medizinethischen Frage, inwieweit es gerechtfertigt ist, offenkundig gesunde Menschen in ihren Freiheitsrechten einzuschränken, um die Ausbreitung einer Seuche zu verhindern. In der Ostafrika-Episode hebt Lichtwarck-Aschoff zudem hervor, wie damals ein groß angelegter Behandlungsversuch mit unzureichend getesteten Medikamenten zu Problemen führte – und doch angesichts der sich ausbreitenden Seuche alternativlos schien.

An vielen Stellen lassen sich Parallelen zur aktuellen Corona-Pandemie herauslesen. Gerade in diesem Zusammenhang verdeutlicht das Buch, dass die Frage nach individuellen und gesellschaftlichen Freiheiten, Rechten und Pflichten bereits vor mehr als 100 Jahren relevant war. Auch über Aspekte aus Kochs Leben und Wirken lässt sich manches erfahren. Da allerdings weite Teile des Werks fiktional sind, bleiben die Informationen über die historische Person begrenzt.

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