»Rom«: Mit dem Segen der Götter
»Ob es die Mühe wert ist, wenn ich die Leistungen des römischen Volkes vom Anfang seiner Stadt aufzeichne, weiß ich nicht genau.« Nanu, wundert sich der Leser über die Eröffnung des Buchs. War sich Philip Matyszak, Dozent für Römische Geschichte an der University of Cambridge, unsicher, ob er sich den Legenden über die Anfänge Roms widmen solle? Doch schnell wird klar, dass er hier einen anderen zitiert: Der Satz stammt aus »Ab urbe condita«, der laut Matyszak um 21 v. Chr. verfassten Abhandlung des Titus Livius zur Geschichte des römischen Imperiums.
Im Unterschied zu solchen antiken Vorgängern stehen Matyszak außer Überlieferungen auch archäologische Befunde zur Verfügung, um die Legenden mit Fakten zu konfrontieren. Wobei den Autor nicht allein ein eventueller wahrer Kern von Überliefertem interessiert, er geht auch der Frage nach, was die Geschichten über die Römer aussagten: »Sagen und Legenden sind Geschichten, die einem Volk sagen, wer es ist, was es sein sollte und wovor es sich fürchten muss.«
Rom ist bekanntlich auf sieben Hügeln gebaut, den Anfang machte der Palatin. Sein erster Bewohner sei der Gott Janus gewesen, der über das Volk der Sikeler herrschte, so die Legende. Archäologen fanden tatsächlich Belege für eine Besiedlung im dritten Jahrtausend v. Chr. Um 1300 v. Chr. wurden die Sikeler dann aus Mittelitalien vertrieben und siedelten sich auf Sizilien an, das ihnen seinen Namen verdankt.
Es waren unruhige Zeiten, und wer fruchtbares Land in Besitz nahm, musste es mit Waffengewalt verteidigen. Diverse »Völker« – der Autor verwendet diesen Begriff leider, ohne zu definieren, was er darunter versteht – zogen umher, vertrieben andere »Völker« und wurden selbst vertrieben. Das Volk der Römer war dementsprechend eine wilde Melange.
Trotzdem gab es auch einen Stammvater: Aeneas. Spätestens seit Kaiser Augustus galt der trojanische Prinz und Sohn der Göttin Venus als gemeinsamer Bezugspunkt. Dafür hatte der Kaiser gesorgt, indem er den um 70 v. Chr. in Norditalien geborenen Dichter Publius Vergilius Maro mit einer entsprechenden Darstellung beauftragt hatte. Der uns als »Vergil« bekannte Autor brachte die verschiedenen und durchaus auch widersprüchlichen Mythen zu Roms Geschichte auf Linie.
Dieser zufolge führte Aeneas die Überlebenden aus dem brennenden Troja auf Umwegen an den Tiber, wo König Latinus herrschte. Aeneas heiratete dessen Tochter, ihr Sohn Euryleon war laut Vergil kein Geringerer als Iulus, Stammvater der Iulier, zu denen Augustus gehörte. Damit hatte Rom einen überaus glorreichen Ursprung, und sein Mäzen konnte sich rühmen, von der Göttin Venus abzustammen.
Machtkämpfe – und eine Wölfin
Danach ging es allerdings erst einmal gewaltig bergab. Als die legendären Zwillinge Romulus und Remus die Bühne betraten, lebten die Nachkommen des Aeneas nicht mehr auf dem Palatin, sondern in Alba Longa, einer Kolonie der ursprünglichen Siedlung. In der frühen Antike war es üblich, erzählt der Autor, dass jüngere Generationen mit großem Zeremoniell auszogen, neues Land in Besitz zu nehmen. Das vermied Probleme, denn eine Stadt samt Ackerland bot nur einer begrenzten Zahl von Menschen ein gutes Auskommen.
Diese Strategie schützte freilich nicht völlig vor Neid und Missgunst. Der rechtmäßige König von Alba Longa, Numitor, wurde von seinem Bruder vom Thron gestürzt. Um zu verhindern, dass irgendwelche Nachkommen Numitors ihm die Herrschaft streitig machen konnten, erklärte der Usurpator dessen Frau zur Priesterin der Göttin Vesta und verpflichtete sie damit zur Keuschheit. Aber der Gott Mars vergewaltigte die Vestalin, sie gebar zwei Söhne, Romulus und Remus. Der falsche König ließ sie bekanntlich aussetzen, doch eine Wölfin, die ihre Jungen verloren hatte, machte ihm einen Strich durch die Rechnung und säugte sie, später nahm ein Hirte die Jungen auf.
Schon Livius überlegte, ob die Wolfsgeschichte nicht auf weniger mythische Umstände zurückzuführen sei. Die Frau des Hirten habe möglicherweise als Prostituierte gearbeitet, Bordelle nannte man aber – zumindest zu Livius‘ Zeiten – »Wolfshöhlen«. Für Matyszak passt ein solch schäbiger Anfang Roms gut ins Bild, ebenso wie die Vergewaltigung der Vestalin, die nach römischem Verständnis kein Opfer war, sondern Schuld auf sich geladen hatte – sie hatte das Keuschheitsgelübde gebrochen.
Romulus und Remus gaben zunächst die Halbstarken, die auch vor Plünderungen nicht Halt machten. Bei einer solchen Gelegenheit wurden sie von Numitor erkannt und verhalfen ihrem Vater wieder zum Thron. Nun sollten die Brüder ihre eigene Stadt gründen. Über das »Wo?« und »Von wem genau?« gerieten die beiden jedoch in Streit. Sie riefen die Götter an und suchten deren Zeichen am Himmel.
Der blutige Weg zum Imperium
Remus erblickte vom Aventin aus sechs Geier, Vögel mit einem hohen Symbolwert. Romulus behauptete schlankweg, er habe sogar zwölf Geier gesehen. Remus durchschaute den Betrug, beide Brüder begannen mit der Stadtgründung, Remus auf dem Aventin, Romulus am Fuße des Palatin.
Um seinen Bruder zu verspotten, übersprang Remus dessen Stadtmauer und wurde von einem Gefolgsmann des Romulus getötet. Bei den nun ausbrechenden Kämpfen gab es hohe Verluste auf beiden Seiten. Romulus ließ seinen Bruder schließlich reuig auf dem Aventin beisetzen – und baute seine Stadt weiter aus.
Ein Betrug und blutige Kämpfe – Roms gewaltsamer Aufstieg zur Weltherrschaft war offenbar von den Göttern gewollt und vorgegeben. Sieben Könige sollen Rom noch regiert haben, bis es eine Republik wurde. Jedoch eine, in der die Reichen den Ton angaben. So habe der sechste König, Servius Tullius, das Gewicht der Stimmen in der Volksversammlung danach gestaffelt, was jemand im Kriegsfall beitragen konnte. Ein Berittener hatte mehr Einfluss als ein Infanterist, und dieser wiederum übertraf die einfachen Leute, die den Feind bloß mit Steinen bewarfen.
Es gab wohl noch andere Legenden über die Anfänge des Imperiums, aber die wurden 390 v. Chr. verbrannt, um ein Trauma zu überwinden: die Eroberung und Plünderung der Stadt durch ein gallisches Heer. Im Bestand der Überlieferung blieb nur, was Roms Macht in einem Sumpf aus Betrug, Vergewaltigung und Krieg verankerte und alles zum Willen der Götter erklärte, was für einen Aufstieg zur Weltmacht auf Kosten anderer Völker nützlich war.
Der Autor geht bei seiner Darstellung chronologisch vor – von den ersten Siedlern auf dem Palatin bis zu den Anfängen der Republik. Dass Matyszak die feine Ironie beherrscht, lockert die Informationsfülle ebenso auf wie comicartige Illustrationen. So zeichnet das Buch ein lebendiges Bild des aufsteigenden Weltreichs und all der Geschichten und Legenden, auf denen das »Imperium Romanum« gründete.
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