»Sich fühlen«: Auf den Körper hören
Spüren Sie einen Moment in sich hinein. Fühlen Sie Ihr Herz schlagen? Dem Herzschlag, der Atmung, dem Sättigungsgefühl und vielen weiteren Signalen aus unserem Körperinneren ist die Biologin Caroline Williams auf der Spur. Mit viel Neugier erschließt die Autorin die Forschung zur Interozeption und zeigt, wie wir von ihren Erkenntnissen profitieren können. Denn die Wahrnehmung unseres Körpers hat großen Einfluss auf unser Wohlbefinden.
Das Gehirn dabei als Steuerzentrale des Körpers zu sehen, sei überholt, so Williams. Passender sei die Vorstellung von einer Art Drehkreuz, »an dem Körper und Gehirn zusammenarbeiten, um zu entscheiden, was nach dem aktuellen Stand der Dinge vernünftigerweise getan werden sollte.« Die Biologin erklärt detailliert und gut verständlich, wie spezialisierte Körperzellen dem Gehirn laufend Feedback über die Umwelt geben. Unzählige Kanäle stehen für diese Kommunikation zur Verfügung, etwa der Vagusnerv, das Rückenmark oder die Blutbahnen. Über sie stehen Gehirn und Körper ständig im Austausch, so dass auch blitzschnell wechselseitige Anpassungsreaktionen stattfinden können, damit wir jederzeit optimal auf sich wandelnde Bedingungen eingestellt bleiben.
Williams schreibt von den Versuchen, die Mechanismen der Interozeption zu ergründen, und wird sogar selbst zur Probandin. So schluckt die Autorin eine vibrierende Kapsel zur Erforschung der interozeptiven Signale des Verdauungssystems oder begibt sich in einen »Floating-Tank« – eine mit Salzwasser gefüllte Kapsel, die von Außenreizen abgeschirmt ist. Im fast schwerelosen Zustand ohne äußere Ablenkungen soll die Innenwahrnehmung hier in den Vordergrund rücken. Diese und viele weitere im Buch erwähnte Studien zur Interozeption erforschen den Zusammenhang zwischen Körperwahrnehmungen, Erwartungen und bewusstem Erleben sowie die Möglichkeiten der Einflussnahme auf diese »internen« Signale.
Bestimmte interozeptive Signale können als Empfindungen in unser Bewusstsein vordringen, andere laufen ohne bewusste Wahrnehmung ab. Welche Signale des Körpers wahrgenommen werden und wie stark diese jeweils sind, kann von Person zu Person variieren. Es wird zudem untersucht, wie die Interozeption gezielt trainiert werden kann. Denn wer die Botschaften seines Körpers besser wahrnimmt, kann sie auch akkurater verstehen, sich regulieren und insgesamt wohler fühlen – so der Ansatz. Doch die Signale des Körpers können auch in die Irre führen, beispielsweise bei chronischen Schmerzen, Angst- oder Essstörungen. Der erwähnte Floating-Tank könnte hierbei helfen, so die Hoffnung der Wissenschaftler. Es wird beispielsweise getestet, ob ein Aufenthalt im Tank Personen mit Essstörungen zu einem besseren Körpergefühl verhilft.
Resonanzatmung und neue Therapieansätze
Die Interozeption ist ein noch relativ junges Forschungsfeld. Dennoch geben ihre Ergebnisse schon jetzt erste Hinweise darauf, was dabei helfen könnte, Körper und Geist in Einklang zu bringen. Dazu gehören – wenig überraschend – regelmäßige, moderate Bewegung und körperbasierte Achtsamkeit. Außerdem scheint es hilfreich zu sein, gut einschätzen zu können, wie genau man die eigenen Körperempfindungen wahrnimmt. Dies wurde unter anderem in Bezug auf das Erfühlen des eigenen Herzschlags herausgefunden.
Studien haben außerdem ergeben, dass die sogenannte Resonanzatmung Symptome von Stress, Ängstlichkeit und chronischem Schmerz lindern kann. Bei dieser Technik wird das Atmen gezielt verlangsamt und so eine Veränderung der Herzfrequenz herbeigeführt.
Die Autorin schreibt, dass sie sich beim Einschlafen – gerade nach ihren positiven Erfahrungen im Floating-Tank – mittlerweile in ihren Herzschlag hineinfühlt und so zur Ruhe kommt. Ihre Freude am Explorieren und Entdecken ist ansteckend. Beim Lesen des Buchs hält man immer wieder inne, um kurz in sich hineinzuspüren, was der Körper einem gerade zu sagen hat.
Auch wenn die Interozeptionsforschung noch in den Anfängen steckt, eröffnet dieses Buch bereits eine neue Sicht auf den Körper und dessen Signale. Im Forschungsfeld werden verschiedene wissenschaftliche Disziplinen wie etwa Psychosomatik und Neurowissenschaft zusammengebracht. Vielleicht ermöglichen die Erkenntnisse zur Interozeption auf diesem Weg Therapieansätze, die Körper, Gehirn und Psyche als Einheit verstehen und ganzheitlich helfen.
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