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Rückkehr der großen Räuber

Der Buchtitel gilt für ganz Europa, aber nicht für Deutschland und mehrere andere Länder, in denen das Überleben von Bär, Luchs und Wolf keineswegs sichergestellt ist, weil die breite Akzeptanz dieser Tiere in der Bevölkerung (noch) fehlt. Bär "JJ1", besser bekannt als "Bruno", kam aus der Nähe von Trient bis ins Grenzgebiet zwischen Österreich und Deutschland. Seine beachtliche Schadensbilanz (er schlug Haus- und Nutztiere, vor allem Schafe) machte ihn zum "Problembären", und er wurde erlegt. Bruno war seit mehr als 170 Jahren der erste Braunbär, der in Deutschland wieder in freier Wildbahn auftrat. Ähnlich mager sieht die Bilanz für Wölfe und Luchse aus: Von den ersten wurden seit 1998 zwischen Schleswig-Holstein und Polen nur etwa 300 Individuen gezählt, inklusive aller Jungtiere; die letzten sind noch seltener und auf einige Mittelgebirge beschränkt.

Ralf Bürglin, Biogeograf, Journalist und Fotograf, wirbt im vorliegenden Buch für "Die Großen Drei", ohne die Probleme zu verschweigen, die mit ihrer Wiederkehr künftig zu erwarten sind. Laut einem Interview, das am Ende des Werks abgedruckt ist, möchte er die Begeisterung weitergeben, die er bei seinen Begegnungen mit diesen Tieren an vielen Orten in Europa und Nordamerika erlebt hat. Seine Erlebnisse und Fotos davon machen den Hauptteil des Buchs aus.

Mit Zähnen und Krallen

Zunächst beschreibt Bürglin die wichtigsten Kennzeichen dieser drei Tierarten, dann ihre Lebensweisen und Jagdmethoden. Außerdem geht er darauf ein, wie sich ihre Fußspuren, Losungen und Risse lesen und deuten lassen, was für ihr Auffinden unerlässlich ist. Hier zeigt sich die enorme Erfahrung des Autors und man bekommt vieles vermittelt, das in anderen Büchern völlig fehlt. Die Abbildungen dazu sind beeindruckend und ergänzen den Text hervorragend.

Sodann befasst sich der Journalist mit einer wesentlichen Frage: Wie kommen Mensch und Tier zu einer Koexistenz? Beim Luchs ist sicher kaum Widerstand zu erwarten (außer seitens der Jäger, denn ein Weibchen mit Jungen schlägt rund 60 Rehe pro Jahr). Diese Raubkatzen wirken selbst ausgewachsen noch geradezu niedlich mit ihrem kuscheligen Fell, den Schnurrhaaren und Pinselohren. Zudem sind sie sehr scheu und meiden den Menschen, wo immer es geht. Sogar wenn sie im Gehege aufgezogen wurden, verlieren sie nach dem Auswildern schnell ihre Zutraulichkeit. Begegnungen mit ihnen sind in freier Wildbahn also extrem unwahrscheinlich.

Wolf im Schnee | Wölfe sind raffinierte Jäger. Im Winter treiben sie angeblich Huftiere auf das Eis zugefrorener Gewässer, wo diese mit ihren Hufen leicht ausrutschen.

Ganz anders sieht das beim Wolf aus. Die tief sitzende Abneigung gegenüber diesen wunderbaren Tieren stammt aus einer Zeit, als echte Nahrungskonkurrenz zwischen ihnen und armen, hungernden Menschen bestand, weil das Wild knapp war und die Wölfe daher massenhaft Nutztiere rissen. Heute gibt es zwar wieder reichlich Wild, doch Schafe auf einer Weide sind für Canis lupus eine viel leichtere Beute. Mitten in der Kulturlandschaft und nahe der Stadt Diepholz hat im März dieses Jahres ein Wolf 60 Schafe getötet. Der Schaden wird zwar ersetzt, aber das ist keine befriedigende Lösung. Bürglin sieht keine Chance für das Überleben der faszinierenden Beutegreifer hierzulande, solange die Bevölkerung nicht wenigstens in Teilen hinter deren Wiederansiedlung steht.

Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) wirbt seit 2005 mit einer Kampagne unter dem Motto "Willkommen Wolf". Die hat der aber wahrscheinlich gar nicht nötig, denn er breitet sich selbständig weiter aus und braucht nach Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern auch keine dünn besiedelten Gebiete, um reproduktionsfähige Populationen aufzubauen. Wölfe sind gesetzlich streng geschützt, doch für "Risikotiere", also Individuen, die ein gefährliches Verhalten an den Tag legen, wird es nach Ansicht des Autors keine Alternative zum Abschuss geben. Auch die sorgfältige Kontrolle der Bestände und das unverzügliche Vergrämen (Verscheuchen) der Tiere, wenn sie Menschen begegnen, seien erforderlich. Sonst verlören sie die Scheu und näherten sich menschlichen Siedlungen, so dass "am Ende viel mehr Wölfe getötet werden müssen", zitiert Bürglin den amerikanischen Verhaltensforscher David Mech, den wohl besten Wolfskenner der Welt.

Streit über Meister Petz

Braunbär im Farn | Wilde Bären gibt es in Deutschland derzeit nicht. Doch das kann sich ändern: Im nur wenige hundert Kilometer entfernten Slowenien leben etwa 450 dieser Tiere.

Wilde Bären sind bislang kein Thema in Deutschland. Aber das kann sich ändern. In Slowenien, etwa ein Drittel so groß wie Bayern, leben zirka 450 dieser Tiere. Um den Bestand zu regulieren, werden jährlich 80 bis 100 zum Abschuss freigegeben und zu Wurst und Schinken verarbeitet. Westliche EU-Länder protestieren dagegen, was die dortige Forstbehörde lapidar reagieren lässt: "Da kommen Länder wie die Niederlande und Deutschland mit dicken Papieren, wie wir unsere Bären managen sollen. Aber der Unterschied ist: Wir machen das seit hundert Jahren so und haben viele Bären. Und sie? Sie haben Papiere, aber keinen einzigen Bären."

Bärentatze | Als Allesfresser nehmen Braunbären überwiegend pflanzliche Nahrung zu sich. Sie fressen aber auch große Säugetiere, die sie mit Tatzenhieben auf Kopf oder Nacken töten.

Wenn der Autor seine Begegnungen mit den "Großen Drei" beschreibt, gibt er Tipps zum Beobachten und Fotografieren und erzählt von Wildbiologen, die sich professionell mit diesen Tieren beschäftigen, etwa um deren genetische Merkmale über DNA-Analysen sowie deren Verhalten dokumentieren. Zudem schildert Bürglin seine Recherchen und präsentiert Einzelheiten zu bestimmten Beobachtungsorten und Landschaften. Manchmal weicht er vom Thema ab, beispielsweise wenn er über Vielfraße und Eisbären berichtet. Seine oft fantastischen Bilder nehmen einen großen Raum im Buch ein; man sieht ihnen an, dass sie in freier Natur unter schwierigsten Bedingungen entstanden sind und nicht in "kontrollierter Umgebung" wie Gehegezonen oder Tierparks. Den Abschluss bildet eine Karte mit allen Beobachtungsorten, die der Autor im Werk beschreibt, mit nützlichen Internetadressen und einer Sammlung von 13 QR-Codes, über die man Tonaufnahmen der Tiere mit Hilfe einer kostenlosen App anhören kann.

Einen Wermutstropfen gibt es: Das verantwortliche Layout hat ganze sieben Doppelseiten (für die Gliederung des Buches nach Kapiteln) für richtig große Abbildungen verschenkt, indem es über die Bilder dort einen farbigen Filter legte und darauf noch ein diagonales Raster aus weißen Linien. Warum glaubt man, dass man die wundervolle Natur so noch "schöner" machen kann?

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