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»Sind Flüsse Lebewesen?«: Wenn Flüsse Rechte hätten

Robert Macfarlane nimmt uns mit auf eine literarische und politische Reise: Er zeigt, wie indigene Bewegungen Flüsse als Lebewesen schützen wollen – und warum das uns alle angeht.

Was würde passieren, wenn Flüsse Rechte hätten? Wenn wir sie nicht länger als Ressource oder Rohstoff betrachteten, sondern als eigenständige Wesen? Genau dieser Frage geht der britische Nature-Writing-Autor Robert Macfarlane in seinem Buch nach. Was auf den ersten Blick esoterisch klingen mag, ist tatsächlich hochpolitisch und hochaktuell. Macfarlane führt uns an Orte, an denen Menschen sich genau dafür einsetzen: dass Flüsse eigene Rechte, eine Stimme und Würde haben.

Die literarische Reise beginnt im Nebelwald Los Cedros im Norden Ecuadors, wo das Quellgebiet des Río Los Cedros durch Goldabbau bedroht ist. Weiter geht es nach Chennai im Südosten Indiens, zu einer Metropole, deren einst reiches Wassernetz aus Flüssen, Bächen und Lagunen heute schwer geschädigt ist. Schließlich landet man im Nordosten Kanadas, in Nitassinan, dem Territorium der Innu, wo sich indigene Bewegungen für den Schutz des Wildflusses Mutehekau Shipu (auch »Magpie River«) einsetzen – gegen geplante Staudämme und für den Fortbestand des Flusses als lebendiges Wesen.

Macfarlane verwebt dabei Naturgeschichte, persönliche Erlebnisse, Zitate aus Philosophie, Literatur und Mythologie miteinander. Seine Sprache ist poetisch und dicht, dabei mitunter inhaltlich fast etwas ausschweifend. Besonders eindrucksvoll sind die Passagen über die Quellen seiner Heimat im Südosten Englands. Auch die Dringlichkeit überzeugt, mit der Macfarlane dystopische Szenarien beschreibt, in denen Wasser nicht mehr fließen darf – oder die utopischen Momente, die entstehen, wenn es dann doch wieder fließt. Der Dammabriss am Elwha River im Bundesstaat Washington, USA, ist dafür das eindrucksvollste Beispiel. Innerhalb weniger Jahre kehrte dort das Leben zurück: Lachse, Bären, Menschen.

Für eine »Grammatik der Lebendigkeit«

Ein zentrales Kapitel widmet sich der juristischen Idee, Flüsse als Rechtssubjekte zu behandeln – also ihnen ein eigenes Klagerecht zuzugestehen. Was wie eine Utopie klingt, ist in Neuseeland längst Realität: Der Whanganui River auf der Nordinsel wurde 2017 per Gesetz zur juristischen Person erklärt. Er hat seither Rechte – und eigene menschliche Vertreter, die in seinem Namen sprechen. Macfarlane zeigt, dass solche Modelle kein Widerspruch zu demokratischem Rechtsverständnis sein müssen, sondern eine Weiterentwicklung dessen sein können. »Unsere Flüsse werden von der Logik der Verdinglichung und des Gewinns definiert«, schreibt Macfarlane. »Es braucht starke Kräfte, um ältere, vielschichtige Zuschreibungen aus dieser Beschlagnahme zu befreien.«

Robert Macfarlane geht auch sprachlich neue Wege: Er versucht, eine neue »Grammatik der Lebendigkeit« zu entwickeln. Oder besser: eine alte wiederzuentdecken. Denn, so der Autor: »Flüsse fließen nicht nur durch Landstriche, sondern eben auch durch Menschen.«

Sein Buch stellt die zentrale Frage: Wie müssten wir denken, leben und handeln, wenn wir Wasser nicht als Dienstleister, sondern als einen Verwandten begriffen? »Sind Flüsse Lebewesen?« ist ein leidenschaftliches Plädoyer für eine andere Sicht auf die Welt – eine Sicht, in der das Lebendige nicht in Kategorien von Besitz und Ausbeutung gedacht wird. Das Buch rüttelt auf, inspiriert – und lässt Leserinnen und Leser mit einer Frage zurück, die mehr ist als ein philosophisches Gedankenspiel: Was schulden wir den Flüssen?

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