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»Soundtracks«: Musik ist Trumpf – immer und überall

Wie eng die Entwicklung des Menschen und seiner Kulturen mit der Musik und ihren Instrumenten verbunden ist, macht Graeme Lawson erlebbar, ja geradezu hörbar.

»Musik ist Trumpf im Leben! Sie wird es immer geben, solang‘ der Globus sich noch dreht.« Dieser eingängige Text und die ebenso eingängige Melodie mögen in den Köpfen vieler Menschen nachhallen – sie stammen aus dem Titelsong von »Musik ist Trumpf«, der Samstagabendshow, die Peter Frankenfeld erstmalig 1975 präsentierte. Sie spiegelt ein bedeutsames Kapitel der Musik- und Unterhaltungsgeschichte in Deutschland wider.

Das Lied mag einem wieder einfallen, wenn man das Buch von Graeme Lawson liest. Dann kommt jedoch eine Erkenntnis hinzu: Musik begleitet uns seit jeher, seit der erste Mensch einen Klang erzeugte. Graeme Lawson, sowohl Archäologe als auch Musiker, eröffnet mit seinem Werk einen faszinierenden Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart, der auch für jene Leser spannend ist, die ansonsten wenig mit Musik zu tun haben. Sein Buch verharrt gerade nicht bei trockenen Beschreibungen archäologischer Objekte – vielmehr baut er die gefundenen Musikinstrumente nach, probiert sie aus, spielt sie und erweckt sie damit zu neuem Leben.

So fügt Lawson seinen wissenschaftlichen Studien eine klangliche Dimension hinzu, die aus abstrakten Artefakten lebendige Geschichten werden lässt und uns die Menschen nahebringt, die sie erschaffen haben. Lawson beschreibt anschaulich die Ausgrabungen, schildert die Gegebenheiten des Fundortes und verknüpft die Entdeckungen geschickt mit der Musikgeschichte. Dabei spannt er einen gewaltigen Bogen, der von der Gegenwart bis tief in die Vorgeschichte reicht und geradezu philosophische Fragen über das Wesen der Menschheit aufwirft.

Mit einem untrüglichen Sinn für Systematik erklärt Lawson den Aufbau seines Buchs, das wie eine archäologische Grabung strukturiert ist. Er beginnt an der Oberfläche – der Gegenwart – und arbeitet sich Schicht für Schicht tiefer in die musikalischen Erfahrungen vergangener Epochen vor. Sogar ein unscheinbares Instrument wie die Mundharmonika wird zum Schlüssel für spannende historische Betrachtungen. Ausgehend von einem Fund, bei dem die Überreste einer Mundharmonika im Fort Alamo entdeckt wurden, entfaltet der Autor eine faszinierende Geschichte. Sie reicht bis ins Jahr 1836 zurück, als das Fort von angloamerikanischen Rebellen besetzt und von mexikanischen Truppen belagert wurde. Überbleibsel von Mundharmonikas werden oft in Verbindung mit Schlachtfeldern gefunden; sie waren das Instrument von Menschen, die unterwegs waren und beweglich sein mussten.

Geflötet wird auf der ganzen Welt

Es ist beeindruckend, wie Lawson die weltweit verstreuten Funde von Musikinstrumenten miteinander verknüpft. Die Technologie der Mundharmonika findet sich beispielsweise ebenso in der chinesischen Mundorgel, die vor über 2000 Jahren entwickelt wurde und einen ähnlichen Klang erzeugte. Ähnlich spannend sind Lawsons Antworten auf die Fragen, warum die Flöte in so unterschiedlichen Kulturen und Kontinenten verbreitet war und welch genialen Konstruktionsideen ihr zugrunde liegen – wie die des Grifflochs, das es ermöglicht, mit einem einzigen Rohr mehrere Töne zu spielen. Gab es einen gemeinsamen Ursprung, oder entstanden diese Instrumente unabhängig voneinander?

Mit großer Präzision und Detailtreue offenbart Lawson, dass die Fertigung von Spielinstrumenten ein komplexes und ingenieurtechnisches Meisterwerk darstellt. Betrachtet man das Alter mancher Instrumente, wird schnell klar, welch bedeutende Rolle Musik in der geistigen und technologischen Entwicklung der Menschheit spielt. Wenn er die Brücke zu heutigen Geräten wie Tastaturen schlägt und die Wurzeln der »Taste« in der Musik verortet, führt sein Blick bis zu einer faszinierenden Orgel aus dem 3. Jh. n. Chr., deren Überreste in den Ruinen eines römischen Palastes in der Schweiz entdeckt wurden – ein echtes Wunderwerk der Handwerkskunst!

Ein weiteres beeindruckendes Beispiel für die Komplexität von Musikinstrumenten sind sechs bronzene Hörner, die in Dänemark gefunden wurden und aus der Zeit um 800 v. Chr. stammen. Jedes dieser Hörner ist über zwei Meter lang, aber über ihre gesamte Länge weichen sie bei einer sehr geringen Stärke des Metalls nur um 2,5 Millimeter von einem idealen Kegel ab. Wie die Menschen es zu der damaligen Zeit geschafft haben, einen derartig präzisen Bronzeguss herzustellen, bleibt bis heute ein Rätsel. Sie stellen eine Herausforderung für das Verständnis der damaligen Fertigungstechniken dar. Dass es sie gab, lässt uns erahnen, wie sehr die damalige Gesellschaft die Musik schätzte und welche kulturellen Prioritäten sie setzte.

Musik war offensichtlich seit jeher Trumpf – sie ist ein Bestandteil des Menschseins, der uns mit der Vergangenheit verbindet und gleichzeitig das faszinierende Potenzial menschlicher Schöpfungskraft offenbart.

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