»Sternenwärts«: Strandlektüre für Raumfahrtfans
Es gibt Bücher, bei deren Lektüre der Rezensent schon nach wenigen Seiten elektrisiert aufspringt, um seine Gedanken zu Papier zu bringen. Augenblicklich will er eine flammende Replik verfassen oder eine wortgewaltige Laudatio, um allen die Abstrusität oder die Schönheit des eben Gelesenen mitzuteilen. Und dann gibt es die Bücher im Mittelfeld. Und schließlich die im mittleren Mittelfeld. Aber: Verteufle mir niemand dieses Mittelfeld! Auf seinen Schultern ruht unsere Gesellschaft, und auch im Buchmarkt hat es unbedingt seine Berechtigung.
Damit sind wir bei Guido Meyer und seinem Werk »Sternenwärts«. Es liegt so sehr im Zentrum des mittleren Mittelfelds, dass dem Rezensenten kein Aufreger irgendwelcher Art, sei er positiv oder negativ, ins Auge springen mag. Das Buch ist ein munter dahinplätscherndes Vademecum aus meist korrekten geschichtlichen Informationen, gewürzt mit kleineren Erlebnisberichten, Erzählungen zu den Lieblingsthemen des Autors und einem Ausblick in die Zukunft, den man teilen mag oder nicht; denn der, das liegt in der Natur des Themas, wird mit zunehmender Seitenzahl immer spekulativer und driftet in Richtung Sciencefiction.
Müssen wir eine »Verseuchung« befürchten?
Wir lernen bei Guido Meyer Leute wie Tom Weeks kennen. Er wäre eigentlich lieber Rockstar geworden, gehört nun aber zu der kleinen Gruppe von Menschen beim »JPL« (dem »Jet Propulsion Laboratory« der NASA), die den Kontakt mit den inzwischen einen vollen Lichttag entfernten Voyager-Raumsonden aufrechterhält. Wir treffen Kommandant Peter Kokh und seine Köchin Laurel Ladd (Spezialität: Brownies) in einem Habitat der »Mars Society« für Marssimulationen in Utah; oder gern und durchaus öfter: den Autor selbst, wie etwa bei der feierlichen Eröffnung des Robert-A.-Heinlein-Gedächtnistunnels.
Sehr ausführlich, über knapp 40 Seiten, beschäftigt sich Meyer mit dem Thema »Die Verseuchung von der Erde«. In diesem Teil des Buchs wird er ausnahmsweise etwas verbissener, denn, so sein Fazit: Auch nur eine einzige irdische Mikrobe könnte eventuell gerade aufkeimendem oder seit Äonen vor sich hin darbendem Leben auf dem Mars oder den Jupitermonden Europa und Ganymed den Garaus machen. Oder noch schlimmer: Mikroben vom Mars könnten die Erde kontaminieren (»Der Krieg der Welten« lässt grüßen). In diesem Kapitel lesen wir übrigens auch von »negrophilen« Lebensformen – das hätte in unserer so sprachsensiblen Zeit natürlich nicht passieren dürfen.
Die von Meyer vertretene Sichtweise ist wissenschaftlich zumindest umstritten, und auch ich sehe das tatsächlich komplett anders. Vermutlich ist seit Jahrmilliarden, bedingt durch Meteoriteneinschläge, ein reger Austausch an Material, biochemischen Bausteinen und vielleicht sogar Mikroben zwischen den Planeten unseres Sonnensystems im Gange; und obendrein könnte man annehmen, dass der evolutionäre »Zweck« unserer Existenz ohnehin gerade darin besteht, das Leben hinaus ins Universum zu tragen – und nicht, einen solchen Austausch mit allen Mitteln zu verhindern.
Dieses und viele andere Themen packt Meyer mit manchmal – für meinen Geschmack – zu aufgedreht munterer Wortwahl in sein 250 Seiten starkes Werk. Immerhin lernt man auf diese Weise den Text von Gus Backus‘ 60er-Jahre-Song »Der Mann im Mond« kennen. Sehr dankbar bin ich dem Autor übrigens dafür, dass er nirgendwo gendert (anders als der Verlag im Impressum).
Die Abbildungen in »Sternenwärts« sind, wie leider so häufig in der Sachbuchreihe des Springer-Verlags, zu der das Buch gehört, in miserabler Qualität wiedergegeben. Immerhin sind sie zum größeren Teil farbig, und auf vielen kann man sogar erkennen, was sie darstellen sollen – das ist bei den Büchern der Reihe nicht immer so. Manchmal werden hier diffuse schwarz-weiße Nebelchen als »Fotos« präsentiert; in diesem Buch ist es, wie gesagt, nicht ganz so schlimm, wenngleich bei Ausreißern (wie den beiden Bildern auf Seite 96) selbst nach Lektüre der Bildlegende die Fantasie des Betrachters doch außerordentlich beansprucht wird.
Generell ist der Inhalt des Buchs gut verdaulich, und mit dem neu erworbenen Wissen kann »Familie Mittelfeld« – zu der sich im Übrigen auch der Rezensent zählt – abends beim gemeinsamen Essen mit den Kindern trefflich über Raketen, Planeten und Aliens diskutieren, während alle eine leckere Pizza genießen.
Somit hat das Werk meine Empfehlung für einen Nachmittag am Lido delle Nazioni an der italienischen Adriaküste – mit Sand, Sonnenbrand und Campari Soda. Es ist in so leichter Sprache gehalten, dass es nach der Diskussion in der Pizzeria auch Kinder und Jugendliche ab etwa zwölf Jahren konsumieren können. Sein Preis ist leider ziemlich gepfeffert, daher ist es für eine Mehrfachnutzung im Familien- und Freundeskreis prädestiniert. Fazit also: Vom etwas happigen Preis abgesehen, ist »Sternenwärts« eine prima Strandlektüre für Raumfahrtfans.
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