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Buchkritik zu »Superpox - Tödliche Viren aus den Geheimlabors«

Die Probe aus dem Postfach erwies sich als voll mit Milzbrandsporen. Man strich sie über eine Petrischale mit Blutagar und am späten Nachmittag wucherten auf dem Nährboden ganze Kolonien von Milzbranderregern. Die Flecken waren von blassem Blau und funkelten wie pulverisiertes Glas: der klassische, glitzernde Anblick von Anthrax." So sachlich kühl leitet Richard Preston sein neues Buch ein, einen Thriller der besonderen Art, der alle Voraussetzungen für eine weitere Hollywood-Verfilmung à la "Hot Zone" bietet.

Was nüchtern mit der Beschreibung des ersten Milzbrand-Anschlags in den USA im Herbst 2001 beginnt, wird schnell zu einem Wissenschaftskrimi, der den Leser von der ersten Zeile an in den Bann schlägt. Von Anthrax geht es über die Pocken zu den geheimen Biowaffenprogrammen der Sowjetunion und der USA und zurück zu den mysteriösen, bis heute nicht aufgeklärten Anthrax-Briefen im Herbst vor zwei Jahren. Preston schildert Unfälle in Hochsicherheitslabors und Divergenzen zwischen dem FBI, der CIA und militärischen Institutionen so detailliert, als wäre er selbst dabei gewesen.

En passant lässt der Autor noch einmal die letzte Pockenepidemie in Europa im Jahr 1969 vor den Augen des Lesers ablaufen. Im sauerländischen Meschede erkrankten damals zwanzig Menschen, von denen vier starben, und die Einwohner des kleinen Städtchens wurden zu Parias der Nation: Wer ein Auto mit dem Kennzeichen MES fuhr, wurde an Tankstellen nicht mehr bedient.

Mit der ihm eigenen Detailversessenheit beschreibt der Wissenschaftsjournalist alles über Pocken, Pest, Anthrax und so weiter, was heutige Infektionsmediziner hofften vergessen zu können. Von Variola minor, major, discreta und confluens ist zu lesen, von Affen-, Stinktier- und Insektenpocken, vom "Zytokinsturm", der den charakteristischen Pockengeruch verursacht, und von dem zwanghaft panischen Gesichtsausdruck der Pockenkranken, der durch die fortschreitende Zerstörung der Gesichtshaut verursacht wird. Noch einmal erlebt der Leser jene höchst dramatischen Momente des internationalen Programms, mit dem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Ausrottung der Pocken vorantrieb. So stand 1975 der Erfolg auf Messers Schneide, weil in Bangladesch fast gleichzeitig 1200 Ausbrüche in unterschiedlichen Landesteilen bekämpft werden mussten.

vMit dem letzten Pockenfall in Somalia im Jahr 1977 ist die Geschichte der "Mutter aller Seuchen" noch lange nicht am Ende. Noch bis in die Tage von Gorbatschow stellte die Sowjetunion in ihrem geheimen "Biopreparat"-Programm Pockenviren nicht nur kilo-, sondern tonnenweise her. Man versuchte, die Erreger "heiß zu machen", das heißt genetisch so zu verändern, dass eine Pockenimpfung wirkungslos blieb. Gleichzeitig war das sowjetische Gesundheitsministerium der größte Gönner der WHO-Kampagne und stiftete mehr Impfstoff als alle anderen Länder zusammen.

Preston weiß auch zu berichten, vermutlich durch Aussagen von Überläufern wie dem Mikrobiologen Kanatjan Alibekow, wie die sowjetischen Kampfstoffproduzenten amerikanische Inspekteure im riesigen Komplex ihrer Labors an der Nase herumführten – und in den Wirren der Auflösung der Sowjetunion selbst die Kontrolle über die ungeheuren Mengen biologischer Kampfstoffe verloren.

Der letzte Teil des Buches führt dann wieder in das aktuelle Zeitgeschehen. Die Ereignisse vom 11. September, die Vermutung der US-Regierung, bestimmte "Schurkenstaaten" seien die illegalen Erben des sowjetischen B-Waffenprogramms, sowie der in letzter Konsequenz daraus legitimierte Irak-Krieg machen klar, warum sich die USA nicht den mehrfachen Aufforderungen der Weltgesundheitsorganisation beugten, die letzten noch in Labors (einem amerikanischen und einem russischen) vorhandenen Pockenvorräte müssten ein für alle Mal vernichtet werden. Stattdessen wurden in militärischen Einrichtungen wie auch in den Centers for Disease Control die Forschungen am Variola-Virus auf ein nie gekanntes Maß hochgefahren und eine beispiellose Impfkampagne in Gang gesetzt.

Der Kreis schließt sich mit einer Analyse der Gefährlichkeit von mit Anthrax-Sporen beladenen "Briefbomben". So heißt es über die Folgen des Briefes, der am 15. Oktober 2001 an den Senator Daschle geschickt wurde: "Geruchlos und unsichtbar in der Luft schwebend, wurden die Partikel aus dem Brief von der Hochleistungsklimaanlage des Gebäudes angesaugt. Vierzig Minuten lang verteilten Ventilatoren die Luft im gesamten Hart Senate Office Building, bis endlich jemand daran dachte, sie abzuschalten. Zu guter Letzt wurde das Gebäude für sechs Monate evakuiert, die Reinigung kostete 26 Millionen Dollar."

Spannender kann man medizinische Mikrobiologie, Politik und Zeitgeschehen nicht miteinander verknüpfen. Große Klasse, Herr Preston!

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 7/2003

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