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»Tausend widerständige Territorien«: Widerstand und Grauzonen

Peter Gelderloos beschreibt Aktionen des Widerstands gegen die Zerstörung von Lebensräumen. Differenziert ist seine Darstellung allerdings nicht.

An der Küste einer kroatischen Insel versenkt ein Mann ein altes Schrottauto ohne Motor in einer Bucht, um damit die großen Fischtrawler zu sabotieren, die im Mittelmeer mit ihren Schleppnetzen Fischbestände leerfischen. Er stamme aus der älteren Generation, die Widerstand noch aus der Nazizeit kenne, vermutet Autor Peter Gelderloos. Greenpeace wirft Felsbrocken in ein Schutzgebiet, um die Plünderung des Meeresbodens zu verhindern, weil die britische Regierung, so die Aktivisten, Regelungen zu dessen Schutz nicht einhalte. In Indonesien stemmen sich Einheimische gegen Rodungen, die durchgeführt werden sollen, um dort Palmöl für Biosprit gewinnen zu können. In Frankreich verhindern Menschen nach einem jahrelangen Kampf einen Flughafenneubau. Und die Sámi am Polarkreis kämpfen gegen Angler und für ihre eigenen Fischereirechte. Diese Kämpfe seien, schreibt Gelderloos, Teil einer revolutionären Welle, deren Sichtbarkeit allerdings von Staaten und Medien systematisch behindert werde.

Zuvor begründet Peter Gelderloos, warum dieser Widerstand wichtig sei, indem er ausführlich die Bedrohungen für den Planeten Erde schildert und dabei auf wissenschaftliche Quellen verweist. Dabei sei der Klimawandel nur ein Aspekt, der zudem oft den Blick auf andere Katastrophen verstelle wie etwa Trinkwasserknappheit, Vermüllung oder Artensterben – im Übrigen alles Phänomene, von denen ärmere Menschen deutlich stärker betroffen seien. Der Autor führt viele konkrete Beispiele an – seien es die Bedrohungen für die Population des Papageientauchers oder die Folgen des Hurrikans Katrina 2005 in New Orleans.

Peter Gelderloos ist nicht nur Schriftsteller, er kämpft auch schon lange als anarchistischer Aktivist gegen Grenzen, Entwaldung oder Tagebau. Das merkt man dem Buch an: Bei allem Bemühen, wissenschaftliche Evidenz für seine Positionen anzuführen, sind seine Darstellungen letztlich einseitig. Auch geht er bei Aktionen, die er beschreibt, nicht der Frage nach, ob es sich hierbei jeweils um Straftaten handelt – was durchaus häufig der Fall ist. Allerdings beschreibt der Autor keineswegs nur destruktive Handlungen wie das Errichten von Barrikaden, Zahlungsverweigerungen oder Kampagnen, bei denen Drehkreuze geöffnet und Automaten außer Betrieb gesetzt werden. Er stellt auch konstruktive Aktionen vor, etwa die Anpflanzung von mehr als 10 000 heimischen Obstbäumen und Sträuchern in Kleinstädten oder die Gründung einer eigenen Busflotte. Oder er beschreibt die Einrichtung kooperativer Märkte; diese sichern nicht nur die Lebensmittelversorgung von rund 100 000 Familien, sondern verbinden auch die Menschen aus Land und Stadt und etablieren eine gemeinschaftliche Produktion von Pasta, Kaffee, Reinigungsmitteln und anderen Waren. Ernten werden gemeinschaftlich finanziert, auch der Kauf von Fahrzeugen und die notwendige medizinische Versorgung werden gemeinsam und eigenständig organisiert.

Zum Schluss formuliert Gelderloos seine Version einer besseren Zukunft. Sie ist radikal und in dieser Form kaum ernst zu nehmen. In seiner schönen neuen Welt wurden Gefängnisse, Grenzen, Polizei, Massenmedien und Flughäfen abgeschafft. Das Pflaster von Straßen wurde aufgerissen, um sie zu begrünen, überall wachsen Nuss- und Obstbäume. Der Kapitalismus ist Geschichte, »Reiche« wurden enteignet, anarchistische Lebensweisen verwirklicht. So sehr sich der Autor an anderer Stelle um den Anschluss an wissenschaftliche Erkenntnisse bemüht – hier blendet er jede historische Empirie aus. Denn die Versuche, diese oder ähnliche »Utopien« umzusetzen, prägten bekanntlich das 20. Jahrhundert – mit verheerenden Folgen für Millionen von Menschen und die Natur.

Wer es gewohnt ist, differenziert argumentierende Texte zu lesen, den wird die Einseitigkeit der Darstellung mitunter ermüden oder gar abstoßen. Auch ist das Buch aufgrund seiner Informationsdichte nicht immer einfach zu lesen. Dennoch lohnt sich die Lektüre für alle, die sich ein konkretes und detailliertes Bild von Aktionen machen möchten, durch die Menschen einzeln oder gemeinsam das Leben und die Natur schützen wollen. Hier bietet das Buch einiges, das in der Medienberichterstattung in der Regel so nicht vorkommt. Dabei sind es weniger das versenkte Auto oder die revolutionären »Wellen«, die zum Denken anregen, als vielmehr die Aktionen, die Widerstand konstruktiv werden lassen, ohne dabei Gesetze zu missachten.

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