»The Magic Theorem«: Symmetrie mit Kopfstand
John Horton Conway (1937–2020) – das war jener legendäre und ungeheuer charismatische Forscher, dem die Welt, neben zahlreichen anderen Ergebnissen, ein reichhaltiges Füllhorn an spielerischer Mathematik verdankt. Sein »Game of Life« von 1970 hat weite Kreise gezogen, seine Theorie vom Wert einer Spielstellung gab Anlass zur Definition der »surrealen Zahlen«, und er leistete wesentliche Beiträge zur Theorie der Kugelpackungen in höheren Dimensionen. Conway war bereit, den eigenen Körper auf dem Podium zur Belustigung des Publikums zu Veranschaulichungszwecken einzusetzen; etwa indem er, auf dem Rücken liegend und alle viere nach oben streckend, demonstrierte, dass ein Tisch zwar bezüglich Drehungen um eine vertikale Achse invariant sein könne, nicht aber um eine horizontale. Das heißt: Manche Symmetrien hat der Tisch, andere hat er eben nicht.
Um Symmetrien – jene Bewegungen, unter denen ein Objekt genauso aussieht wie zuvor – geht es auch im vorliegenden (englischsprachigen) Buch, und zwar auf Conways Art: traditionelle Vorgehensweisen auf den Kopf stellend und manchmal ziemlich komisch. Im Gegensatz zur klassischen Darstellung beginnt es nicht mit Definitionen der Gegenstände, über die im Folgenden Sätze bewiesen werden, sondern mit konkreten Beispielen.
Wenn die Kinder Weihnachtssterne machen, falten sie das Goldpapier erst in der Mitte, dann legen sie zwei Hälften des doppellagigen Papiers aufeinander und falten es ein drittes Mal um die entstandene Ecke. Was auch immer sie von dem so entstandenen achtfachen Papierstapel mit der Schere abschneiden, ergibt nach dem Auseinanderfalten hübsche Muster mit Dreh- und Spiegelungssymmetrie. Und das noch zusammengefaltete Papier nennen die Autoren des Buchs ein »Orbifold«.
Der Begriff bezeichnet nicht bloß die Papierfläche, versteht sich. Es muss auch die Information dazukommen, wie das Papier gefaltet ist. Das läuft in diesem Fall darauf hinaus, dass das Orbifold an beiden Faltkanten durch Spiegelbilder seiner selbst fortzusetzen ist. Wenn es sich um die übliche Badezimmerkachelung handelt oder auch ein Tapetenmuster mit denselben Symmetrieeigenschaften, dann ist ein Orbifold zwar – zum Beispiel – eine quadratische Kachel (wenn diese nicht auch noch in sich selbst symmetrisch ist); aber rechte und linke Kante werden miteinander identifiziert, desgleichen die obere und die untere, und auf einmal ist unser Orbifold topologisch dasselbe wie ein Torus (Donut).
Die Autoren zeigen uns an zahlreichen Beispielen, wie man zu einem vorgelegten Muster die Symmetrien notiert (und in der Folge ein geeignetes Orbifold findet), und nicht nur das: Jede Symmetrie hat einen Preis. Alle Symmetrien eines ebenen Musters zusammen kosten genau zwei Dollar. Wenn beim Zusammenzählen etwas anderes herauskommt, hat man eine Symmetrie übersehen oder vielleicht auch doppelt gezählt.
Transparent gemachte Zauberei
Das ist die Aussage des Satzes, den die Autoren »magic theorem« nennen. Na gut, so wie er in der Darstellung des Buchs vom Himmel fällt, wirkt er schon etwas wie Zauberei. Aber als ordentliche Mathematiker schieben die Autoren die genaue Formulierung des Satzes und seinen Beweis hinterher. Ist das noch magisch, wenn ein Zauberkünstler mit seinem Trick erst das Publikum verblüfft und dann das Geheimnis lüftet? Sagen wir, die Formulierung »magic theorem« ist zumindest ein kreatives Wortspiel.
Und schon ziehen die Autoren das nächste Karnickel aus dem Hut: Aus dem magischen Theorem folgt ziemlich unmittelbar, dass es genau 17 wesentlich verschiedene Arten gibt, wie ein ebenes Muster symmetrisch sein kann: die bekannten 17 kristallografischen Gruppen. Es gibt nämlich keine andere Möglichkeit, die zwei Dollar aus dem begrenzten Münzensortiment – jede Münze der Preis einer Symmetrie – zusammenzusetzen.
Wenn man andererseits Symmetrien so zusammensetzt, dass weniger als zwei Dollar herauskommen, dann lebt das zugehörige Muster nicht auf der Ebene, sondern auf der Oberfläche einer Kugel. Und wenn es mehr als zwei Dollar sind, landet man in der berüchtigten hyperbolischen Geometrie, in der es zu einer Geraden und einem Punkt außerhalb dieser Geraden nicht nur eine Parallele gibt, sondern unendlich viele. Die Stärke der Orbifold-Notation besteht darin, dass sie alle drei Typen von Geometrie in eleganter Weise umfasst.
Das vorliegende Buch hat einen Vorläufer: »The Symmetries of Things« von denselben Autoren, reichlich 400 Seiten stark und schon 2008 erschienen. An diesem Werk hat Conway also noch maßgeblich mitgearbeitet. Seine Co-Autoren Heidi Burgiel und Chaim Goodman-Strauss haben es für diese neue Fassung »stark erweitert und stark gekürzt«, das heißt, sie haben zahlreiche Konsequenzen aus dem Orbifold-Konzept weggelassen und dafür die Hinführung bis zum magic theorem durch eine Fülle von Beispielen erweitert. Das ältere Buch wollte »Laien, Künstler, aktive Mathematiker und ganz allgemein Forscher« ansprechen. Diesen Anspruch löst das neue Werk zweifellos ebenfalls ein.
Was mich betrifft, hatte die Beschränkung der Neufassung auf den ersten Teil von »The Symmetries of Things« sogar Erfolg. Während ich mich an das dicke alte Buch nie herangetraut hatte, konnte ich das dünne neue mit Gewinn konsumieren. Und das, obwohl ich seit dem Ende des Studiums nicht mehr so auf Übungsaufgaben stehe und mir die reichlich eingestreuten Aufgaben (»Hier ist ein Muster, finde seine Symmetrien«) geschenkt habe.
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