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»The Small, the Big, and the Ugly«: Kosmos, Quanten und Konflikte

Volker Knecht erzählt die Geschichte der Physik und zeigt dabei, warum Relativitätstheorie und Quantenmechanik in einem grundlegenden Widerspruch zueinander stehen.

Bücher über die Geschichte der Physik gibt es viele. Doch dieses ist anders. Es beschreibt die Entwicklung des physikalischen Weltbilds vom antiken Griechenland bis zur modernen Suche nach einer konsistenten Beschreibung des Universums. Es erläutert detailliert und kenntnisreich die Errungenschaften der Physik, zeigt aber auch auf, an welchen Stellen sich die beiden großen Theorien der modernen Physik – die Quantentheorie als Standardmodell des Mikrokosmos (»The Small«) und das Konsensmodell der Kosmologie, also die allgemeine Relativitätstheorie zur Beschreibung des Makrokosmos (»The Big«) – widersprechen. »Diese beiden Regelwerke […] passen nicht zusammen. Unser Bild des Universums leidet unter einer Disharmonie und fundamentalen Diskrepanz«, stellt Volker Knecht fest (S. 9). Was bis heute fehle sei eine Theorie, die diese Disharmonie (»The Ugly«) aufzulösen vermag. Kern einer solchen »Theorie von Allem« wäre eine Theorie der Quantengravitation – doch ob eine solche überhaupt existieren könne, sei offen. Vielleicht, so Knecht, sei eine widerspruchsfreie Beschreibung der Welt auch gar nicht möglich.

Das alles in einer für Laien verständlichen Art zu erklären, ist das ehrgeizige Ziel des 370-seitigen Buchs. Ist das möglich? Um es vorwegzunehmen: Ja, das ist es! Volker Knecht ist eine populärwissenschaftliche Darstellung der großen Entwicklungslinien der Physik gelungen – samt ihrer Kontroversen, Widersprüche, Schwierigkeiten und offenen Fragen.

»Die Physik lässt sich nur verstehen, wenn man ihre Geschichte kennt«, schreibt der Autor gleich zu Beginn. Dieser Überzeugung folgt die Gliederung des Buchs: Im ersten Teil geht es um die Entstehung des kosmologischen Standardmodells, beginnend bei den nach Ordnung strebenden Griechen und dann weiter zu den Arbeiten von Kopernikus, Galilei, Kepler, Newton, Maxwell und Einstein. Im zweiten Teil steht die Erforschung der subatomaren Welt zwischen den 1900er und 1970er Jahren im Zentrum, die zur Formulierung der Quanten-mechanik und dem Standardmodell der Elementarteilchen führte. Im dritten Teil widmet sich Knecht schließlich dem massiven Widerspruch in unserem Weltbild, zu dem die zuvor beschriebene Forschungsgeschichte geführt hat. Gleichzeitig beschreibt er Ansätze, die ihn aufzulösen versuchen.

Jeder der drei Teile gliedert sich in Kapitel und teils sehr kurze Unterkapitel, zwischen denen man gut hin- und herspringen kann. Dem Autor gelingt es dabei, bisweilen sehr komplizierte Dinge nachvollziehbar darzustellen, ohne sie durch Vereinfachung zu verfälschen. So schafft er es, auf nur vier Seiten (Kap. 1.2) die Urknalltheorie herzuleiten, ohne dabei in eine oberflächliche, halbwahre Plauderei abzugleiten oder so tief in die Theorie einzusteigen, dass man als interessierter Laie lieber schnell weiterblättert.

Etwa 50 Seiten später (Kap. 3.4) beschreibt der Autor – beginnend bei der ersten Beobachtung einer Abweichung der geradlinigen Ausbreitung des Lichts an der Grenze zwischen Licht- und Schattenraum durch Francesco Maria Grimaldi (1660), der dieses Phänomen »Beugung« nannte und damit den ersten Hinweis auf die Wellennatur des Lichts gab – die weitere Entwicklung der Wellentheorie des Lichts. Ihr stellt Knecht die Korpuskeltheorie Newtons gegenüber, die davon ausging, dass Licht – wie Materie auch – aus kleinsten Teilchen bestehe; eine Annahme, die erst sehr viel später (1850) widerlegt wurde (die Doppelnatur des Lichts thematisiert Knecht an anderer Stelle) und zur weiteren Beschreibung der Wellentheorie durch Maxwell und Hertz führte. Als Leser ist man verblüfft: Knecht braucht für die fachlich korrekte, das Wesentliche erwähnende und für Laien verständliche Darstellung dieses entscheidenden Paradigmenwechsels in der Physik gerade einmal zwei Seiten. In der Fähigkeit, Komplexität inhaltlich und sprachlich angemessen zu reduzieren, liegt eine große Stärke seines Buchs. Dass der Autor in puncto Verständlichkeit in späteren Kapiteln mitunter an seine Grenzen stößt, liegt dann vor allem an den hochkomplexen Inhalten aktueller physikalischer Theorien.

Zwei kleinere Schwächen gilt es dennoch anzumerken. Zum einen geht die Begeisterung für sein Fach manchmal mit dem Autor durch. Dies ist etwa der Fall, wenn es plötzlich im Text von Fachtermini wimmelt: »Aufgrund der Beobachtungen am Zeeman-Effekt musste dem Elektron der anomale gyromagnetische Faktor Zwei zugeschrieben werden« (S. 162). Zum anderen legt der Autor schon ganz zu Beginn seine Weltanschauung offen: »Das grundlegendste Verständnis der Welt liefert die Physik […]. Die Physik ist auch der fundamentalste Zweig aller Natur- und Sozialwissenschaften bis zur Soziologie« (S. 2). Dies ist als Aussage von jemandem, der die Suche nach einer »Theorie von Allem« beschreibt, durchaus bemerkenswert, zeigt sich hier doch eine reduktionistische Tendenz, die der Physik ein gewisses Wahrheitsmonopol zuschreibt. Dies wird auch an anderen Stellen deutlich, etwa wenn Knecht schreibt: »Die Spezielle Relativitätstheorie sorgt gleichzeitig dafür, dass sich das Elektron nicht schneller als das Licht bewegt« (S. 163). Dass hier eine eigentlich nur erklärende Theorie zur Ursache eines Geschehens gemacht wird, mag ein sprachlicher Lapsus sein; er wirkt allerdings nicht zufällig.

Gleichwohl lohnt sich die Lektüre des Buchs. Denn hier vermittelt ein absoluter Kenner sein großes Fachwissen stilistisch gekonnt und so allgemeinverständlich wie nur möglich, so dass auch für Laien das Verständnis für die eindrücklichen Leistungen der Physik samt ihrer noch bestehenden Unzulänglichkeiten deutlich wachsen kann.

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