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»Transgenerationalität«: Über Traumata und ihre Spätfolgen

Auch im Sinne nachkommender Generationen ist es wichtig, Traumata zu erkennen und aufzuarbeiten, so Susanne Döll-Hentschker in ihrem lesenswerten Plädoyer.

Ob Eltern ihre Kinder in Sicherheit aufziehen können oder dies inmitten von Armut, Krieg und Flucht tun müssen; ob sie genügend Zeit für ihren Nachwuchs haben oder zu viel Stress für eine angemessene Zuwendung; ob sie eine stabile Bindung bieten können oder mit übermächtigen inneren Dämonen zu kämpfen haben – all das hat gravierende Folgen. Nicht nur für die Eltern selbst, sondern auch für ihre Nachkommen: »Die Erfahrungen der Kindheit sind nicht alles, aber sie sind das Fundament, auf dem alles Weitere aufbaut«, schreibt Susanne Döll-Hentschker.

In ihrem Buch porträtiert die Psychologin diese »Transgenerationalität«, also die mitunter bewusste, meist aber unbewusste Weitergabe von Erfahrungen, Vorstellungen und Werten in Familien. Die Forschung hierzu sei relativ jung, schreibt die Autorin, und unweigerlich mit dem Holocaust verknüpft: Bei Gutachtenprozessen für Entschädigungszahlungen trafen die Überlebenden der Schoah in den 1950er Jahren demnach oft auf psychologische Gutachter, die damals kaum um die langfristigen Folgen von Traumatisierungen wussten. Erst in den nachfolgenden Jahren und Jahrzehnten wurden Traumafolgen laut Susanne Döll-Hentschker systematisch erkannt – allmählich auch bei den Nachkommen derjenigen, die den nationalsozialistischen Terror er- und überlebt hatten.

Mittels klinischer Fallstudien und konzisen Überblicken über die Fachliteratur zeichnet die Autorin die psychologischen Spuren des Holocausts nach, von den Überlebenden hin zu ihren Kindern und sogar den Enkelkindern. Viele Angehörige dieser dritten Generation seien »im Allgemeinen psychisch unauffällig, vermutlich besteht jedoch eine höhere Anfälligkeit für psychische Belastungen und Stressreaktionen in Krisen oder in bestimmten Entwicklungsphasen, insbesondere in der Adoleszenz, in der die Themen der eigenen Identität und der Ablösung von den Eltern im Vordergrund stehen.«

Die soziale Dimension der Traumata

In ihrem zugänglichen und schnörkellosen Grundlagentext ordnet Susanne Döll-Hentschker das Phänomen der Traumaweitergabe immer wieder in den gesellschaftspolitischen Kontext ein. Aus gutem Grund: »Das soziale Trauma wird durch vielfältige Faktoren nicht nur über die Generationen weitergegeben, sondern auch von der Gesellschaft durch den Umgang mit der Vergangenheit und durch antisemitische Äußerungen, Übergriffe und Gewalttaten immer wieder aktualisiert.« So habe jüngst der Terrorangriff der Hamas und der »seitdem massiv angestiegene Antisemitismus« Ängste und Traumata bei in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden reaktiviert.

Auch wenn eine direkte »Parallelisierung von Opfern und Tätern« unzulässig sei – die Vergangenheit war laut der Autorin auch für viele Nachkommen der Täterinnen und Täter spürbar. So hätten einige beispielsweise von ihrer Angst berichtet, dass die eigenen Eltern sie ermordeten. Über Strafen und Liebesentzug, auch über ein bleiernes Schweigen habe es zu einer »Tradierung von Täteranteilen zwischen den Generationen« kommen können. Ohnehin seien viele, die in der »Tätergesellschaft« aufwuchsen, psychologisch belastet, denn: »Traumatisierungen von Kindern waren systematischer Bestandteil der nationalsozialistischen Erziehung«, schreibt Susanne Döll-Hentschker. Diese Erziehung zu Härte und Kälte hat sich demnach in die individuelle und kollektive Psyche eingebrannt.

Vergangene Traumatisierungen zu erkennen und aufzuarbeiten und damit eine destruktive Weitergabe an nachfolgende Generationen zu verhindern – das ist für die Autorin das dringende Gebot der Stunde. Nur so könnten wir zu einer »generativen« Haltung für unsere Nachkommen gelangen, die nicht von Angst und Gewalt, sondern von sicherer Bindung, Fürsorge und Verantwortungsübernahme geprägt sei. Diese Aufgabe gehe uns alle etwas an, so Susanne Döll-Hentschker in ihrem sehr empfehlenswerten Buch.

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