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Lexikon des Spirituellen

Es ist schon merkwürdig: In unserer wissenschaftlich-rationalen und ökonomisch-effizienten Welt hält sich hartnäckig das Interesse an Übersinnlichem, Esoterik, Ufos, Hellsehen, Kornkreisen und dergleichen. Sind diese zweifelhaften Auswüchse einer metaphysischen Weltdeutung ein Ankerpunkt für Menschen, die die Moderne nicht vereinen können mit ihrem gelebten und vor allem ungelebten Dasein? Ist es mehr als eine Ironie der Philosophiegeschichte, dass der große Zertrümmerer der Metaphysik, Immanuel Kant, einer esoterischen Weltsicht einerseits sehr kritisch gegenüberstand, sich andererseits wohlwollend darüber äußerte? In seiner anonymen Schrift "Träume eines Geistersehers erläutert durch die Träume der Metaphysik" von 1766 verriss Kant gnadenlos Emanuel Swedenborgs Hauptwerk "Arcana coelestia" und nannte es "acht Quartbände voller Unsinn". Zugleich schrieb er Swedenborg privat einen Brief, in dem er dessen übersinnlichen Wahrnehmungen Anerkennung zollte. Dieser Zwiespalt scheint auch unsere Zeit zu prägen.

Hier setzt das vorliegende Buch an. Es ist ein Lexikon, bestehend aus 27 zum Teil mehrseitigen Artikeln über die unterschiedlichsten übersinnlichen oder vermeintlich übersinnlichen Dinge, das den metaphysisch verunsicherten Zeitgenossen eine Orientierungshilfe für den philosophischen Alltag liefern möchte.

Bunter Themenmix

Zunächst ist kritisch anzumerken, dass die Stichworte etwas willkürlich ausgewählt erscheinen. Sie entstammen verschiedenen Bereichen, die nicht durchweg mit Übersinnlichem zu tun haben. So finden sich traditionelle theologische Topoi (Zehn Gebote, Transsubstantiation, Theologie, Offenbarung, Gottesbeweise) neben Vorstellungen, die im engeren Sinne esoterisch sind (Astralleib, Aura, Esoterik, New Age, Sphärenharmonie, Telepathie, Parapsychologie). Mit hineingewürfelt sind schulphilosophische Fachbegriffe wie Fantasie, Kosmos, Geometrie, Metaphysik, Wahrheit, Universalienstreit und Telos.

Die Qualität der Artikel fällt sehr unterschiedlich aus. Der Beitrag über die Zehn Gebote verrät vor allem etwas über die ideologischen Ansichten der Autorin und ermangelt jeder Kenntnis der Ergebnisse alttestamentlicher Forschung – weswegen er auch gänzlich ohne Literaturhinweise auskommt. Die Artikel über Anthroposophie, Telepathie, Parapsychologie und Astralleib hingegen kann man durchaus mit Erkenntnisgewinn lesen. Man vermisst allerdings einen Hinweis auf die Experimente, die unternommen wurden, das Gewicht des Astralleibs zu bestimmen.

Denkspagat, um Gott zu belegen

Auch andere Artikel weisen diesbezüglich Mängel auf. So fehlt dem Beitrag über Rhythmus und Sphärenmusik, der ansonsten sehr gut ist, ein Verweis auf die an Johannes Kepler anschließende harmonikale Grundlagenforschung eines Albert von Thimus, Hans Kayser oder Kurt Haider. Zudem fragt man sich, warum das Werk eine kurze Abhandlung über Gottesbeweise enthält, werden diese doch nicht nur in jedem besseren philosophiegeschichtlichen Lehrbuch und in jeder beliebigen theologischen Dogmatik erschöpfend dargestellt, sondern haben auch als logisch-rationale Denkübungen keinen spezifischen Bezug zum Übersinnlichen. Zudem übergeht der Autor die jüngeren Diskussionen um Gottesbeweise; er erwähnt beispielsweise Alvin Plantingas Versuch einer Reformulierung der klassischen Gottesbeweise auf Grundlage der Modallogik mit keinem Wort.

Wiederum fehlen in dem Büchlein wichtige Themen aus dem Bereich des Übersinnlichen. So wäre ein kritischer Artikel über die Akasha-Chronik wünschenswert gewesen. Auch über Nahtoderfahrungen und ihre wissenschaftliche Erforschung hätte der geneigte Leser sicher einiges erfahren wollen.

Summa summarum: Wer sich philosophisch ein wenig mit der Welt des Übersinnlichen vertraut machen möchte, kann dieses Büchlein zu Rate ziehen. Wer eine gründliche wissenschaftliche Auseinandersetzung sucht, sollte sich jedoch nach anderen Werken umsehen.

Hinweis der Redaktion: Spektrum der Wissenschaft und J.B. Metzler gehören beide zur Verlagsgruppe Springer Nature. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die Rezensionen. Spektrum der Wissenschaft rezensiert Titel von J.B. Metzler mit demselben Anspruch und nach denselben Kriterien wie Titel aus anderen Verlagen.

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