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Gifte auf Apfel, Mais & Co.

Ein Ökologe beschreibt Gesundheitsrisiken, die mit dem Einsatz gängiger Pestizide einhergehen.

Was ein Regenwurm fühlt, wenn er im Untergrund wühlt, ist und bleibt Spekulation. Aber eines hat Buchautor Johann Zaller in eigenen Untersuchungen nachgewiesen: Landwirtschaftlich oft eingesetzte Pestizide mögen die bodenlebenden Würmer nicht. Nachdem Zaller sich ursprünglich mit Klimaforschung und dem Ozonloch beschäftigt hatte, wollte er naturnahe Ökosysteme mit ihren zahlreichen und seltenen Arten erforschen. Seit Jahren arbeitet der Ökologe nun als Professor an der Universität für Bodenkultur Wien. Er forscht über Pestizide und deren Nebenwirkungen und wirkt als Experte in der Österreichischen Biodiversitätskommission.

Im Rahmen einer Studie setzten Zaller und seine Mitarbeiter zahlreiche Regenwürmer, sorgfältig abgezählt und gewogen, in zwei 50-Liter-Blumenkübel, davon einer ohne und einer mit zugesetzten gängigen Pestiziden. In letzterem Gefäß zeigten sich die Tiere deutlich träger als sonst und vermehrten sich auch schlechter. Springschwänze – kleine insektenähnliche Tiere, wichtig für den Humusaufbau – verließen den pestizidangereicherten Kübel gleich ganz. Offenbar reagieren sie empfindlicher auf die Substanzen als wir Menschen, die, ohne es zu merken, in damit gereinigten Flugzeugen fliegen, Pestizide mit dem Trinkwasser aufnehmen und Äpfel genießen, die bis zu 30-mal gespritzt wurden – meist, aber nicht immer, unter Einhaltung der erlaubten Grenzwerte. Wobei Zaller auch erläutert, warum sich mit Grenzwerten oft Probleme verknüpfen. So lebten Labormäuse, an denen gesundheitliche Gefahren getestet werden, nur zwei Jahre, ein Mensch sei aber bis zu 80 Jahre den Stoffen ausgesetzt.

Globale Perspektive

In drei großen Abschnitten stellt Zaller die gebräuchlichen Pestizide vor, beschreibt deren Auswirkungen auf Mensch und Natur und macht im letzten Kapitel Vorschläge dazu, wie sich ihr Gebrauch eindämmen lässt. Die Kapitel lassen sich problemlos durcheinander lesen, ein Stichwortverzeichnis wäre allerdings hilfreich gewesen.

Auch wenn der Autor auf Deutschland und Österreich fokussiert, ist seine Perspektive global. So berichtet er, dass einige Schulen in Lateinamerika darum kämpfen mussten, dass Pestizid-Flugzeuge erst nach Schulschluss sprühen. Kinder, die in verschiedenen mexikanischen Dörfern aufwuchsen, seien unterschiedlich stark mit den chemischen Substanzen belastet gewesen und hätten deutliche Unterschiede in ihrer Hirnentwicklung gezeigt.

Zaller ist überzeugt, dass mit dem Pestizidgebrauch ein erhebliches Gesundheitsrisiko einhergeht. Als Beleg hierfür zitiert er aus zahlreichen Studien und Untersuchungen. So seien in der Nabelschnur eines Neugeborenen hunderte Chemikalien nachgewiesen worden, die die Plazentaschranke passiert hatten; es habe sich beispielsweise gezeigt, dass 15 Prozent des Glyphosats im mütterlichen Organismus auf das ungeborene Kind übergehen können. In Costa Rica seien bis zu 25 Prozent der untersuchten Plantagenarbeiter, die regelmäßig in Kontakt mit Pestiziden kamen, unfruchtbar gewesen; in Frankreich habe sich im Zusammenhang mit dem Gebrauch solcher Stoffe die Zahl der Harnröhren-OPs vervier- bis verzehnfacht. Zaller räumt aber auch ein, dass es trotz vieler Untersuchungen schwierig ist, Kausalzusammenhänge zwischen Pestizidbelastungen und Krankheiten zu belegen.

Welches Ausmaß die Vergiftungsfälle durch Pestizide inzwischen weltweit erreicht haben, versucht der Autor anhand von Angaben wie denen der WHO nachzuvollziehen. Die Zahlen reichen allerdings von einigen wenigen bis hin zu 41 Millionen. Der Grund: Meldesysteme und Bezeichnungen der Symptome sind international sehr uneinheitlich, die Datenlage ist deshalb unklar. Immerhin ist in Frankreich seit 2012 Parkinson bei Winzern als Berufskrankheit anerkannt, wie Zaller schreibt. Er geht auch auf die Gefahr ein, dass sich infolge zunehmenden Pestizideinsatzes resistente Schädlinge bilden, was eine immer höhere Dosierung erfordert.

Der Autor plädiert leidenschaftlich dafür, den Pestizidgebrauch einzudämmen. Er sieht darin ein großes Risiko für die Menschheit, allerdings ist es nicht seine Absicht, die Landwirtschaft pauschal anzuprangern. Vielmehr will er für das Thema sensibilisieren, indem er Hintergründe fundiert ausleuchtet. Tatsächlich belegt er seine Zahlen und Daten stets mit Quellenangaben, die in der Regel auf Fachliteratur und behördliche Auskünfte verweisen. Die vielen aufgeführten Statistiken und Erhebungen sind eine Fundgrube für alle, die tiefer ins Thema einsteigen möchten. Manchmal jedoch nehmen die Zahlen und Daten etwas überhand; hier wäre die eine oder andere Grafik hilfreich gewesen.

Das Buch ist leicht verständlich und bietet viel Wissenswertes. Ihm ist die ausführliche Recherche des Autors anzumerken. Zaller bleibt nicht bei Befunden stehen, sondern macht auch Vorschläge, wie der Pestizidgebrauch in der Landwirtschaft vermindert oder besser kontrolliert werden kann. Das Werk endet mit dem Aufruf, sich für das Menschenrecht auf eine giftfreie Lebensmittelproduktion zu engagieren.

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