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Richter und Henker

Seit einigen Jahren erfreuen sich soziale Randgruppen vermehrter fachhistorischer Aufmerksamkeit. Auch mehr oder minder stark stigmatisierte Berufe, etwa des Abdeckers oder des Scharfrichters, rücken stärker ins geschichtliche Bewusstsein. Ihr morbides Handwerk steht im Zentrum von Peter Schusters Buch über die "Geschichte des Tötens".

Der an der Universität Bielefeld lehrende Historiker widmet sich mit der Todesstrafe einem der dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte. Sie hat im christlichen Abendland eine lange und blutige Tradition. Anhand profunder Quellenstudien geht der Autor den Ursachen von Tötungsritualen nach, beleuchtet das Schicksal der Opfer, beschreibt das sadistische Spektrum der Körperstrafen und ihrer Vollstrecker und hinterfragt die Rolle der Kirche bei der Blutgerichtsbarkeit.

Glaube spaltet

Wie die Geschichte zeigt, sind Religion und Gewalt miteinander verschwistert. Das galt erst recht in einer Zeit, in der Menschen noch nicht das Maß der Dinge waren und Recht als Teil der christlichen Schöpfungsordnung verstanden wurde. Schuster belegt, dass sich die Kirche bei irdischen Gerichtsverfahren nicht nur darauf beschränkte, für das Seelenheil der Verurteilten zu sorgen. Sie prägte maßgeblich auch die Gesetzgebung, die Ausgestaltung des Hinrichtungsrituals und dessen Legitimierung.

Als Leser erfährt man, dass die meisten Exekutionen nicht etwa im vermeintlich "finsteren Mittelalter", sondern zu Beginn der Neuzeit stattfanden. Vor allem im heraufziehenden Konfessionsstreit zwischen Katholiken und Protestanten hatte die Todesstrafe Hochkonjunktur. In jener Zeit also, als im christlichen Abendland der Kampf um den "wahren Glauben" tobte und die religiösen Wortführer eine "Theologie der Todesstrafe" (Schuster) predigten. In manchen Städten Deutschlands wurden Hinrichtungen so oft vollstreckt, dass ihre Zahl bei weitem die der kriminellen Tötungsdelikte übertraf. Waren das krasse Ausnahmen oder war es eher die Regel?

Genau diese Frage führt zum schwachen Punkt des Buchs. Der Autor verengt seinen Blick übermäßig stark auf Deutschland und differenziert beim historischen Einordnen seiner Fallbeispiele nicht genug. Schuster möchte erkennbar ein Plädoyer gegen die Todesstrafe schreiben, scheitert aber methodisch daran, dass er Ereignisse der frühen Neuzeit zu sehr aus heutiger Sicht und zu wenig aus ihrer Zeit heraus betrachtet. Das zeigt sich insbesondere, wenn er die Härte des Strafmaßes beurteilt.

Grausamkeit als Rettungsmaßnahme

Ohne Zweifel ging die damalige Gerichtsbarkeit wenig zimperlich mit Delinquenten um. Sie ließ sie bereits wegen Bagatelldelikten foltern, blenden, rädern, vierteilen und ihre Wunden mit heißem Öl übergießen. Aus heutiger Sicht mutet das barbarisch an, damals jedoch war den meisten Menschen der Gedanke der Abschreckung wesentlich näher als jener der Resozialisierung. Zudem glaubten viele fest an die reinigende Kraft körperlicher Pein. Grausame Hinrichtungen sollten nicht nur potenziellen Straftätern zeigen, was ihnen blühe, wenn sie kriminell tätig würden. Sie sollten auch dem Seelenheil des Verurteilten dienen. Die sündigen Missetäter sollten die Hölle auf Erden erleben, um das Seelenheil im Jenseits zu erlangen.

Scharfrichter gelten heute als Inbegriff sadistischer Erfüllungsgehilfen der staatlichen Obrigkeit. Doch muss man davon ausgehen, dass sie in Mittelalter und früher Neuzeit vielfach überzeugt waren, mit ihrem Tun den Exekutierten das ewige Leben zu ermöglichen. Erst wenn der renitente Körper gebrochen sei, so die damalige Vorstellung, sei die Seele befreit und "bereit für Gott".

Etliche Beschuldigte ließen sich sogar freiwillig martern, um ihre Unbescholtenheit unter Beweis zu stellen. Doch entgegen heutiger Schreckensbilder war willkürliche Folter damals nicht erwünscht. Die "Peinliche Halsgerichtsordnung" Kaiser Karls V. von 1532 wollte bei Anwendung von Körperstrafen die "Ermessung eines guten vernünftigen Richters" sichergestellt wissen.

Der Autor macht sich mit seinem Buch durchaus verdient, etwa wenn er die Funktionalisierung der Blutjustiz durch die Kirche thematisiert. Auch sind seine Beiträge über Hinrichtungen im Namen Gottes erschreckend aktuell. Doch fehlt es dem Werk an der nötigen mentalitätsgeschichtlichen Reflexion und analytischen Tiefe, um dem Anspruch einer "Geschichte des Tötens" gerecht zu werden.

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