»Viren«: Freund oder Feind?
Spätestens seit der Covid-Pandemie sind Viren ein häufig diskutiertes Thema. Ihre Vielfalt und Faszination vermittelt Autorin Marilyn Roossinck anschaulich auf 288 Seiten. Spannend ist bereits die Frage, was sie eigentlich sind – sie wird gleich zu Beginn thematisiert. Denn Viren pauschal als »Mikroorganismen« zu bezeichnen, ist nicht korrekt; die Frage, ob sie lebendig sind, wird in der Fachwelt kontrovers diskutiert. Einigkeit besteht zumindest darüber, dass Viren Partikel sind, die Erbinformationen tragen und Wirtsorganismen beziehungsweise Zellen infizieren, um deren molekulare Maschinerie zur Vermehrung zu nutzen.
In der Aufmachung wirkt das Buch wie ein Bildband, inhaltlich wie ein Lexikon mit einem Glossar am Ende. Auf Doppelseiten werden einzelne Viren detailliert beschrieben. Zunächst erhält der Leser präzise Informationen über ihren Aufbau, den jeweiligen Infektionsweg und den befallenen Organismus; auf der zweiten Seite werden die Viren dann illustriert: mit einem Bild beziehungsweise einer Darstellung des Virus im Bändermodell, im computergenerierten Strukturmodell oder bei großen Viren auch durch mikroskopische Aufnahmen.
Ein schönes Beispiel ist das erste jemals identifizierte Virus: das Tabakmosaikvirus (TMV), das aus dem Pflanzensaft von Tabakpflanzen gewonnen wurde. Mittels dieses Saftes konnten gesunde Pflanzen ebenfalls infiziert werden, der hier wirkende Überträger konnte aber aufgrund seiner geringen Größe kein Bakterium sein – so wurde das TMV als erstes Virus charakterisiert.
Darstellungen wie diese vermitteln einen lebendigen Eindruck davon, wie vielfältig die Welt der Viren ist. Auch die Einteilung von Virenarten ist komplex. Sie erfolgt nach der sogenannten Baltimore-Klassifikation, die sich auf den jeweiligen Genomaufbau bezieht. Ein Genom muss in jedem Fall in sogenannte Messenger-RNA (mRNA) umgewandelt werden, bevor Proteine gebildet werden können. Für diese molekularen Mechanismen benötigen Zellen verschiedene Enzyme, zum Beispiel Polymerasen. Es gibt Viren, die auf RNA basieren, und andere, deren Erbinformation wie beim Menschen in DNA vorliegt. Im Unterschied zum Menschen kann bei Viren die RNA oder DNA auch einzelsträngig vorliegen (»ss« – »single stranded«), muss also nicht doppelsträngig (»ds« – »double stranded«) sein.
Einzelsträngige Viren kommen weltweit am häufigsten vor. Sie finden sich in allen Bereichen des Lebens und sind evolutionsbiologisch ziemlich alt. Ihre Genome sind ringförmig organisiert und sehr klein; sie werden mit Hilfe der DNA-Polymerase des Wirts in einen Doppelstrang umkopiert, um virale Proteine zu produzieren. Im Unterschied dazu haben RNA-Viren ihre eigenen Replikationsenzyme.
Virale DNA im menschlichen Genom
Besonders exotisch im molekularen Sinne verhalten sich die Retroviren. Sie wandeln nicht wie sonst in allen molekularen Prozessen RNA in DNA um, sondern genau in die umgekehrte Richtung – was lange Zeit als unvorstellbar galt. Hier kommt ein ganz besonderes Enzym zum Einsatz, die Reverse Transkriptase (RT). Sie kopiert im Zellinneren das RNA-Genom des Virus in doppelsträngige DNA, die sich schließlich in das Wirtsgenom integriert. Solche Retroviren sind dafür verantwortlich, dass im menschlichen Genom acht Prozent virale DNA gefunden wird.
Solche allgemeinen Erklärungen etwa zum Aufbau und der Replikation von Viren findet man im Buch zwischen der Charakterisierung einzelner Virenarten. Auch das Vorkommen von Viren in verschiedenen Ökosystemen wird beleuchtet. Dabei wird auch erläutert, wie sich menschengemachte Veränderungen – etwa Entwaldung, Bevölkerungswachstum oder Klimawandel – auf die Verbreitung von Viren auswirken.
Natürlich sind auch Pandemien ein Thema des Buchs – hier vor allem das Überspringen eines Virus von einem Wirt auf einen völlig neuen. Denn für diesen Wechsel der Wirtsspezies muss sich ein Virus nicht nur evolutionär weiterentwickeln, sondern auch andere Hürden überwinden, um den neuen Wirt infizieren zu können. Neben Humanpandemien, die etwa durch Influenzaviren oder SARS-CoV-2 ausgelöst werden, werden auch Pflanzenpandemien behandelt, die weit weniger bekannt sind; zu Unrecht, denn auch sie können sich massiv auf uns Menschen auswirken, da unsere Nahrung direkt oder indirekt pflanzenbasiert ist.
Auch wenn die meisten Viren nicht pathogen sind, so sind wir mit den pathogenen doch am besten vertraut. Deswegen wird im Buch auch Immunität im Allgemeinen erklärt, also die Unterscheidung von angeborenem und erworbenem Immunsystem. Und wir erfahren auch, dass Viren, die keine Krankheiten auslösen, in einigen Fällen sogar Vorteile für ihren Wirt haben und in symbiotischer Gemeinschaft mit ihm leben.
Alles in allem ein großartiges Buch für alle, die immer schon genau über Viren Bescheid wissen wollten – auch jenseits ihrer pathogenen Wirkung.
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