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Buchkritik zu »Vom Neandertaler zum modernen Menschen«

Die Zeit zwischen etwa 40 000 und 28 000 Jahren vor heute ist in der Geschichte des Menschen entscheidend: Figürliche Kunst, Musik und Schmuck offenbaren eine neue Geisteshaltung. Die Menschen transportieren Feuerstein über weite Distanzen und zerlegen ihn mit der Klingentechnik. Geweih- und Knochenverarbeitung werden alltäglich. Am Ende sind in Europa die Neandertaler verschwunden, nur die modernen Menschen verbleiben. Die Archäologie lässt mit den Neuerungen eine Epoche beginnen: das Jungpaläolithikum. Ohne Effekthascherei präsentieren zwölf Fachwissenschaftler die wichtigsten und neuesten archäologischen und anthropologischen Fakten zu dieser Zeit.

Fassettenreich spüren sie zum Beispiel den Umweltbedingungen nach, erklären Genanalysen und präsentieren das entscheidende und neueste Fundmaterial. Dabei wird schnell deutlich, dass der Übergang äußerst komplex war. Kaum ein Wissenschaftler vertritt noch das einfache Modell, wonach allein die anatomisch modernen Menschen Urheber der Innovationen waren. Die Faktenlage hat sich entscheidend gewandelt: Skelette moderner Menschen wurden jünger datiert, sodass eine Einwanderung in das südöstliche Mitteleuropa erst ab 35 000 Jahren vor heute belegt ist. Zu dieser Zeit sind die kulturellen Neuerungen jedoch schon weit gehend ausgeprägt.

Auf der anderen Seite sind Neandertalerknochen mit Funden der so genannten Übergangsindustrien verknüpft, die bereits Merkmale des Jungpaläolithikums enthalten. Im Fokus stehen zwei Fragen: Wer schuf die Übergangs- und die frühesten jungpaläolithischen Industrien? Hier betonen die Autoren den Anteil des Neandertalers an der Erneuerung. Erst aus der Auseinandersetzung beider Menschenarten miteinander erwuchs kulturelle Modernität. Und sind sich die beiden Menschengruppen begegnet, und wie könnte diese Begegnung ausgesehen haben? Möglicherweise, so die Tübinger Dozentin Miriam Noël-Haidle, sind die Neandertaler in den modernen Menschen aufgegangen (vergleiche Spektrum der Wissenschaft 6/2000, S. 42): "Vielleicht besitzt der eine oder die andere noch einen winzigen Rest von Neandertaler-Erbgut."

Das Buch, zugleich Begleitband zur Sonderausstellung "Galerie 40tausend Jahre Kunst" in Blaubeuren, ist populärwissenschaftlich ausgerichtet, steht aber auf einer soliden fachwissenschaftlichen Grundlage. Manche Aufsätze gehen sehr stark in die Tiefe. Einige Grundkenntnisse muss der Leser gelegentlich mitbringen. Doch für jeden, der zum 150. Jahrestag der Entdeckung des Neandertalers mit den wichtigsten Fakten der Forschung und den neuesten Modellen vertraut sein möchte, ist dieses Buch das passende Rüstzeug.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 2/2006

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