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Grüne Lunge unter Druck

Wälder sind wertvoll – ob als Ökosystem, natürliche CO2-Senke, Wirtschaftsfaktor oder Erholungsort in einer immer dichter bebauten Kulturlandschaft. Da drängt sich die Frage auf, inwiefern sie vom Klimawandel bedroht sind. Wie reagieren sie beispielsweise auf steigende Temperaturen und längere Trockenperioden?

Diesen Fragen sind das Schweizer Bundesamt für Umwelt sowie die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft seit 2009 im groß angelegten Forschungsprogramm "Wald und Klimawandel" nachgegangen. Ziel war es, für die verschiedenen Waldstandorte der Schweiz ein solides Grundlagenwissen zu erarbeiten und die mit dem Klimawandel einhergehenden Risiken besser einschätzen zu können. In 42 wissenschaftlichen Einzelprojekten wurden verschiedene Facetten des Themas bearbeitet.

Die Schweiz ist weiter als Deutschland

Zum Abschluss der Projektlaufzeit ist jetzt das vorliegende Buch erschienen. 70 Autorinnen und Autoren haben daran mitgewirkt. Der rote Faden geht von Basisbeobachtungen bezüglich Klima, Wasserhaushalt und Nährstoffkreisläufen über (bisherige und zu erwartende) Klimaeinflüsse auf den Wald und seine ökologischen Leistungen bis hin zu verschiedenen Möglichkeiten, um etwaige negative Folgen des Klimawandels zu mildern. Die Flut an Einzelergebnissen kompakt darzulegen, zu sortieren und miteinander zu verknüpfen, daran haben mit Andrea Pluess, Sabine Augustin und Peter Brang drei kompetente Redakteure gearbeitet. Ihre abschließende Bilanz soll Grundlagen für die künftige Waldpflege und das weitere Vorgehen liefern.

Bei den Wissenschaftlern ebenso wie bei der Schweizer Regierung steht außer Frage, dass ein rasches und angemessenes Handeln erforderlich ist. Das spiegelt sich etwa in einem eigenständigen Landesgesetz zum Schutz des Waldes, in dessen Artikel 28a es heißt: "Der Bund und die Kantone ergreifen Maßnahmen, welche den Wald darin unterstützen, seine Funktionen auch unter veränderten Klimabedingungen nachhaltig erfüllen zu können." Damit ist die Schweiz weiter als beispielsweise Deutschland, wo die Überarbeitung des geltenden Bundeswaldgesetzes erst jetzt vorangetrieben wird. Die Ergebnisse des Schweizer Forschungsprogramms könnten insofern auch Akteuren hier zu Lande nutzen.

Sieben Jahre Arbeit auf 450 Seiten

"Seit Beginn der Industrialisierung um 1850 haben die Lufttemperaturen in der Schweiz um durchschnittlich 1,8 Grad Celsius zugenommen. Je nach Emissionsszenario wird bis Ende des 21. Jahrhunderts ein weiterer Anstieg um bis zu 5 Grad Celsius erwartet." Mit dieser Botschaft beginnt der Themenblock "Klima, Wasserhaushalt und Nährstoffkreisläufe". Zunächst bekommen die Leser einen inhaltlichen Überblick, bevor sie sich mit den Einzeluntersuchungen vertraut machen können. Eine Zusammenfassung und ein Literaturverzeichnis schließen den Block ab. Zu den wichtigsten Ergebnissen gehört hier die Prognose, dass Frost- oder Kälteperioden seltener auftreten, Hitze-Extreme dagegen zunehmen werden. Wegen des stark strukturierten Geländes und der verschiedenen Höhenlagen allerdings mit lokal sehr unterschiedlichen Effekten.

In den folgenden Kapiteln geht es konkret um die Ökophysiologie der Wälder, etwa um Transpiration und Fotosynthese-Leistungen, Schädlingsresistenz und lokale Anpassungserscheinungen. Auch die Folgen des Klimawandels für den Wald als Schutzlandschaft, existenzieller Lebensraum und Wirtschaftsfaktor werden behandelt. Der letzte Themenblock befasst sich dann mit Möglichkeiten des adaptiven Waldmanagements. Diese zielen darauf ab, "Unsicherheiten zu identifizieren und sie durch Managementversuche und Einbeziehung von Modellierungen zu reduzieren". Klingt ziemlich theoretisch und ist es auch. Doch die Autoren bemühen sich darum, das Ganze konkret zu machen. Sie betonen beispielsweise, dass die vielen einschlägigen Informationen in einem Wissenspool gefiltert und objektiviert werden müssten. Wichtig sei es auch, dass sich die Beteiligten immer wieder austauschen und kontinuierlich an konzeptionellen Verbesserungen arbeiten. Eine Herausforderung ist dabei, dass zwischen bestimmten Waldpflegemaßnahmen wie Verjüngung und Erfolgskontrolle naturbedingt sehr große Zeiträume liegen.

Schwere Kost

Der Hauptteil des Buchs ist gut durchdacht, aber teils mühsam zu lesen und für Nichtprofis erst einmal schwer nachvollziehbar. Immer wieder wird deutlich, wie komplex die Klimawandelproblematik ist, da Standortfaktoren und Vegetation auf verschlungene Weise ineinandergreifen und wechselwirken. Als sehr wertvoll erweist sich daher die ausführliche, schlüssige und verständliche Zusammenfassung des Werks. Unter anderem greifen die Autoren hier das Potenzial von Gastbaumarten auf. Die Douglasie, die Küsten-Tanne sowie die Orient-Buche seien für bestimmte Standorte durchaus zu empfehlen, da sie negative Auswirkungen des Klimawandels auf Schutz- und Holzfunktion mindern könnten.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse einerseits, dass die Wälder – zumindest in der Schweiz – die Folgen des Klimawandels nur in begrenztem Maß auffangen können. Andererseits aber auch, dass ein langfristiges Waldmanagement dazu beiträgt, bedrohte Waldleistungen aufrechtzuerhalten.

Das Buch richtet sich an Forstfachleute, Waldbesitzer und andere am Wald Interessierte. Letzteren dürften sich die Details in den Unterkapiteln nicht immer auf Anhieb erschließen, doch nicht zuletzt dank der begleitenden Karten, Diagramme und Grafiken sowie der hervorragenden Fotos werden auch sie von der Lektüre profitieren.

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