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»Warum Menschen Böses tun«: Verstehen statt Verständnis

Die Forensikerin Gwen Adshead lädt dazu ein, psychisch kranken Straftätern auf Augenhöhe zu begegnen. Dabei setzt sie weniger auf Verständnis als auf Verstehen. Was war der entscheidende Moment, der zur Straftat führte?
Gefaltete Hände mit Handschellen

»Wer möchte einen Serienmörder übernehmen?« So beginnt Gwen Adshead ihr Buch »Warum Menschen Böses tun«, das sie gemeinsam mit der amerikanischen Autorin Eileen Horne veröffentlicht hat. Die Frage stellte Adsheads Teamleiter in den 1990er Jahren während einer Besprechung im Broadmoor Hospital, einer Hochsicherheitsklinik im Südosten Englands. Adshead übernahm den Fall. Seit Beginn ihrer beruf­lichen Laufbahn befasst sich die neuseeländisch-­britische Psychiaterin mit der Begutachtung und Behandlung psychisch kranker Straftäter. Anhand von Fallgeschichten beschreibt Adshead menschliche Schicksale. Ihre Patientinnen und Patienten bezeichnet sie als Überlebende einer Katastrophe, wobei diese selbst die Katastrophe waren. Dabei setzt sie nicht so sehr auf das Verständnis der Leserinnen und Leser als vielmehr auf Verstehen.

Wie bei einem Zahlenschloss, schreibt Adshead, ist es die letzte Ziffer, die über die Zukunft entscheidet. Sie hat ihre Arbeit darauf ausgerichtet, diese letzte Ziffer aufzuspüren: Was war der exakte Moment, der zur Straftat führte? Die Autorin lädt dazu ein, den ihr gegenübersitzenden Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, die allzu leicht als »Monster« stigmatisiert werden.

Toxische Männlichkeitsideale

»Um es ganz deutlich zu sagen: Die meisten Gewalttaten auf der Welt werden von jungen, mittellosen Männern verübt«, schreibt sie. Das sei auf toxische Männlichkeitsideale zurückzuführen, zu denen etwa das Streben nach Kontrolle zählt, die notfalls gewaltsam aufrechterhalten wird. Doch Adshead berichtet auch von Täterinnen und räumt selbstkritisch ein, dass sie am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn unbewusst anders auf weibliche als auf männliche Täter geschaut habe. So habe sie diese häufig in einen »Opferkontext« gestellt und die Ursachen für die verübten Gewalttaten im (männlichen) Umfeld gesucht.

»Warum Menschen Böses tun« fordert dazu auf, genau hinzusehen und zu verstehen, um das Einrasten der letzten Ziffer zu verhindern.

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