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Nachhaltigkeit als Worthülse

In vielen Fällen entpuppt sich scheinbare Nachhaltigkeit als wenig nachhaltig. Leider präsentiert das Buch dazu jedoch wenige Fakten.

Der einst abstrakt klingende Begriff Nachhaltigkeit ist zum Trendwort geworden – Verpackungen, politische Ziele und Modekollektionen werben gleichermaßen mit ihrer Nachhaltigkeit. Gegen diese weit verbreitete, häufig unreflektierte Verwendung des Begriffs kämpft Klaus-Dieter Hupke, Professor für Geografie an der pädagogischen Hochschule Heidelberg, in seinem Buch.

Er erklärt, dass es »die« Nachhaltigkeit nicht gibt, sondern nur jeweils ein bestimmtes System nachhaltig sein kann. So existieren Konflikte zwischen wirtschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit. Damit wendet sich der Autor gegen einen integrierten – oder in seinen Worten »scheinintegrativen« – Nachhaltigkeitsansatz. Immer wieder stellt er Ökologie und Ökonomie als quasi natürliche Gegenspieler dar. Durch die Überdehnung des Begriffs sei Nachhaltigkeit damit unmöglich zu erreichen.

Stark überzeichnet

Um dieses Argument zu stärken, präsentiert das Buch zahlreiche alltagsnahe, aber unzusammenhängende und teilweise stark überzeichnete Fallbeispiele. Diese verdeutlichen Hupkes Ansicht, der zufolge viele Handlungen, die wir als Einzelpersonen für mehr ökologische Nachhaltigkeit unternehmen, wirkungslos verpuffen.

Das Werk ist, anders als auf den ersten Blick zu vermuten wäre, kein typisches Sachbuch, denn der Autor legt wenig Wert darauf, seine Aussagen zu belegen (worauf bereits die mageren drei Seiten Literaturverweise für mehr als 200 Seiten Text hindeuten). Stattdessen sind die Fallbeispiele mit persönlichen Anekdoten versehen.

Leider besteht das Buch zum Großteil aus einer Aneinanderreihung unbelegter Pauschalurteile – wobei der Autor selbst »den Medien« vorwirft, bloße Behauptungen statt Fakten zu verbreiten. Beispielsweise vertritt er die These, Recycling in Privathaushalten sei im Grunde »für die Tonne«. Er nennt Mülltrennung »symbolisches Handeln«, denn es werde das Wenigste recycelt, wenn überhaupt etwas – Zahlen jedoch, mit denen die Leserinnen und Leser die Behauptung nachvollziehen könnten, legt er nicht vor. Als Begründung schreibt er: »Warum sollten die Verwertungsquoten der Entsorger zuverlässiger gelten als, sagen wir, die Abgaswerte von Fahrzeugherstellern?« Diese Zweifel werden aber in keiner Weise über diese beiläufig eingeworfene Verschwörungsthese hinaus legitimiert. Da es für Hupke offenbar keine zuverlässigen Zahlen gibt, scheinen sie ihm für die Argumentation entbehrlich.

Dass die Verantwortung des Einzelnen in der medialen und gesellschaftlichen Debatte überbetont wird und es vor allem politische Entscheidungen sind, die Veränderungen im System bewirken, ist ein wichtiger und gerechtfertigter Punkt. Die fehlende Unterfütterung von Hupkes Fallbeispielen führt jedoch nicht dazu, dass die These überzeugend dargestellt wird.

Ein zum Teil herablassender Schreibstil schmälert die Freude am Lesen zusätzlich, etwa wenn der Autor pauschal die seiner Ansicht nach scheinheilige »Fridays-Generation« verurteilt oder über die »Förderung (vormals) atypischer sexueller Gewohnheiten« schreibt – umso erstaunlicher, wo er sich doch selbst gegen die pauschalisierende Verwendung von Begriffen wendet.

Das Buch will laut Klappentext »kein Pamphlet gegen Klimaschutz, gegen Bewahrung der Biodiversität oder gegen die wirtschaftliche Entwicklung ärmerer Länder« sein – allerdings erinnert es durch diese Schreibweise leider sehr daran. Für das an sich wichtige Argument, der Begriff Nachhaltigkeit werde überdehnt, hätte auch ein Essay genügt – darüber hinaus bleibt unklar, welche Forderung der Autor vertritt. Sollen wir alles so belassen, wie es ist, wenn alle Anstrengungen sinnlos und zum Scheitern verurteilt scheinen? Abgesehen von der Forderung, in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung Prioritäten zu setzen – Regenwald schützen oder nachhaltige Rohstoffe zur Energiegewinnung nutzen? – präsentiert das Buch jedenfalls keine eigenen Vorschläge.

Damit ist es höchstens geeignet für Menschen, die sich ihre diffuse Ablehnung gegenüber allem mit dem Label Nachhaltigkeit bestätigen lassen wollen; alle anderen werden darin leider wenig Neues lernen.

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