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Wie Sex die Wirtschaft ankurbelt

Zwei Soziologinnen mutmaßen in ihrem Buch, dass ein gutes Liebesleben auf dem Arbeitsmarkt hilft.

Haben Sie aufregenden und selbstbestimmten Sex?« Ginge es nach den Soziologinnen Eva Illouz und Dana Kaplan, könnte das eine aufschlussreiche Frage in einem Bewerbungsgespräch sein; wenn auch unangebracht. Ein erfülltes Liebesleben umfasst soziale Kompetenzen, die in der modernen Arbeitswelt ebenfalls gefragt sind – so die zentrale These ihres Essays »Was ist sexuelles Kapital?«.

Die Gefühlswelten im Kapitalismus ergründet Illouz schon seit Beginn der 1990er Jahre. 2011 veröffentlichte die Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem den Bestseller »Warum Liebe weh tut«, auf den 2018 »Warum Liebe endet« folgte. Für die aktuelle Publikation hat sie sich mit der Sozialwissenschaftlerin Dana Kaplan von der Open University of Israel in Ra’anana zusammengetan.

Sex als Ressource

Mit Kapital meinen die Autorinnen keinen Geldwert, sondern bestimmte Ressourcen, mit denen man sich gesellschaftliche Vorteile verschafft, die schlussendlich auch monetär zur Geltung kommen können. Dabei beziehen sie sich auf den französischen Soziologen Pierre Bourdieu, der den Begriff des kulturellen Kapitals prägte. Darunter fällt zum Beispiel eine gute Bildung. Die fördert die beruflichen Erfolgsaussichten und folglich die Chancen auf ein hohes Einkommen.

Wie kann man also Sexualität zu Geld machen? Die womöglich offensichtlichste Form von sexuellem Kapital liegt in der Prostitution. Doch auch aus der Enthaltsamkeit lässt sich ökonomischer Nutzen ziehen. Keuschheit war und ist in vielen Teilen der Welt ein wichtiger Wert auf dem Heiratsmarkt. Illouz und Kaplan argumentieren, dass in den letzten Jahrzehnten eine weitere Form des sexuellen Kapitals an Bedeutung gewonnen hat.

Sexuelle Freiheit sei heute ein »zentraler Grundsatz moderner westlicher Gesellschaften« und ein Sinnbild für Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, so die Autorinnen. Diese Eigenschaften schüfen in der heutigen Berufswelt Vorteile. Menschen könnten also Ressourcen aus ihrem Intimleben am Arbeitsmarkt für sich nutzen.

Allerdings profitierten den Autorinnen zufolge hauptsächlich Angehörige der Mittelschicht von solchem sexuellen Kapital, weil sie häufig kreativen Berufen nachgingen, in denen viel persönlicher Einsatz nötig ist und man als »interessante, abenteuerlustige, risikofreudige Person,« gelten sollte, um erfolgreich zu sein.

Leider unterfüttern die Forscherinnen ihre Analyse nicht mit überzeugenden Daten. Sie führen zwar eine Studie an, die demonstrieren soll, dass »Angestellte, nachdem sie am Vorabend Sex hatten, am folgenden Tag eine fünfprozentige Verbesserung ihrer Stimmung am Arbeitsplatz verspüren.« Doch diese Ergebnisse zeigen keineswegs, »dass die Arbeitsmarktfähigkeit der Mittelklasse mittlerweile von Affekten sexueller Selbstwertschätzung abhängt.« Überhaupt lehnen sich Illouz und Kaplan mit dieser Behauptung sehr weit aus dem Fenster.

Handfeste Belege fehlen

Zumindest der mangelnden empirischen Beweise sind sich die Autorinnen bewusst. Mit dem Essay möchten sie den Begriff des sexuellen Kapitals konkretisieren und zukünftige Forschung vorantreiben. Allerdings gewinnt man häufig den Eindruck, dass 100 Seiten dafür nicht ausreichen. Die Wissenschaftlerinnen erwähnen viele Beobachtungen nur am Rande. Oft bleibt unklar, welche Rolle sie für die eigentliche These spielen.

Für soziologisch Interessierte ist »Was ist sexuelles Kapital?« trotzdem ein lesenswerter Aufsatz. Doch weil eine unbestätigte Hypothese den Kern des Buchs bildet, wäre der passendere Titel eher: »Was könnte sexuelles Kapital sein?« Das hätte sich jedoch vermutlich nicht so gut verkauft – und am Ende geht es eben auch beim sexuellen Kapital ums Geld.

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