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»Was Tiere denken«: Von Waschstationen und cleveren Delfinen

Wenn Ameisen in den Spiegel schauen oder Jaguare sozial werden: Marianne Taylors faszinierende Reise in die Welt der Tiere zeigt, wie sehr sie Menschen oft ähneln.

Was Tiere denken, haben sich Menschen schon immer gefragt – besonders natürlich diejenigen unter uns, die täglich im Kontakt mit ihnen stehen. Auch in literarischen und filmischen Werken wird wild darüber spekuliert.

Die Frage kann auch Marianne Taylor nicht abschließend klären, denn einem Tier können wir genauso wenig in den Kopf schauen wie unserem menschlichen Gegenüber. Aber die Autorin vermittelt eine ganze Reihe von Erkenntnissen, über die sie sich einer Antwort zumindest annähert. Sie beleuchtet die vielen Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier, insbesondere mit Blick auf ihre Bedürfnisse. Dies tut sie in Kapiteln zu Gehirnleistung, Rechnen, Kommunikation, Bonding, Bewusstsein, Gewinnen, Fürsorge und Kultur – und bewegt sich dabei von der Ameise bis hin zum Buckelwal. Die Ameise nämlich hat zum Erstaunen der gesamten Fachwelt den berühmten Spiegeltest bestanden. Forscher hatten sie mit einem farbigen Punkt auf der Stirn versehen – und dass die Ameisen versuchten, diesen zu entfernen, lässt auf ein Ich-Bewusstsein schließen. Allerdings wurden diejenigen, die den Fleck nicht entfernen konnten, von den Wächterameisen getötet, weil diese ihre gepunkteten Artgenossen nicht mehr als zugehörig erkennen konnten.

Die Mittelamerikanische Wanderameise verfügt über ein besonderes Mindset: Sie muss wandern, weil sie alles in ihrer Umgebung tötet und verspeist, was dazu geeignet ist. Ganz auf ihre Gruppe ausgerichtet sind wiederum diejenigen Ameisen, die zur Nacht mit ihren Körpern einen Käfig bauen, eine Art lebendiges Schlafzimmer, in dem die Königin und die Larven in Sicherheit die Nacht verbringen.

Bei Hühnern wiederum wurde Empathie auf körperlicher Ebene gemessen – und zwar in einem Experiment, bei dem man sie von ihren Küken trennte, diese aber in Sichtweite blieben. Die Küken wurden dann einem leichten Luftstrahl ausgesetzt, was sie irritierte. Wenn die Glucken das sahen, richteten sie sich auf, ihr Herzschlag erhöhte sich. Wenn die Mutter aber ruhig blieb, blieb auch ihr Kind ruhiger.

Ein Hahn als balzender DJ

In freier Natur lässt sich das spektakuläre Balzverhalten des australischen Prachtleierschwanzes beobachten. Der Hahn baut sich eine Balzarena aus Erdhügeln, auf denen er umher stolziert, und singt dort, um Hennen zu beeindrucken und anzulocken. Dabei stammen nur 20 bis 25 Prozent der eingesetzten Töne genuin von ihm selbst. Darüber hinaus bedient er sich perfekter Imitationen anderer Vogelgesänge oder der Geräusche um ihn herum – im Zweifel auch derer von Handys oder Motorsägen, falls Menschen diese gerade produzieren. Ein Hahn muss lange üben, um es in dieser Disziplin zur Meisterschaft zu bringen. Wenn er dann auch sein Aussehen nicht vernachlässigt, hat er gute Chancen, von einer Henne ausgewählt zu werden.

Bleiben wir in Australien und kehren zurück zum Teamgeist bei Tieren. Forscher haben dort nämlich Flötenvögel mit Trackern am Rücken ausgestattet, um ihre Wege nachzuvollziehen. Stattdessen gewannen sie eine andere Erkenntnis: Sie beobachteten, wie die Vögel sich gegenseitig dabei halfen, die Tracker wieder loszuwerden.

Sauberkeit ist ein weiteres Bedürfnis, das Mensch und Tier eint. So gibt es auch bei Fischen Waschstationen. Dort reinigen die kleinen Putzerlippfische größere Fische, indem sie deren Parasiten fressen. Eigentlich eine Win-Win-Situation. Wenn die Weibchen aber laichreif sind, verputzen sie auch den nährstoffreichen Körperschleim der Fische. Wenn ein Fisch diesen Diebstahl bemerkt, besucht er nie wieder diese Waschstation. Wenn ein Weibchen allzu gierig ist und mehr Schleim zu sich nimmt, als es wirklich braucht, wird es vom Männchen, das selbst nichts klaut, aggressiv zurechtgewiesen.

Von einer möglicherweise evolutionären Entwicklung weiß Taylor mit Blick auf den im brasilianischen Pantanal lebenden Jaguar zu berichten. Jaguare gelten eigentlich als Einzelgänger. In diesem Feuchtgebiet entstand aber eine solche Populationsdichte, dass sich die Tiere gezwungen sahen, ihre Scheu abzulegen und untereinander zu kommunizieren. Sie begannen sogar miteinander zu spielen und paarweise zu jagen – Verhaltensweisen, die so vorher noch nirgends beobachtet worden waren.

Wenn Delfine tricksen

Ein Beispiel von besonderer Gerissenheit bietet der Große Tümmler. Eine Delfindame namens Kelly, die in Gefangenschaft lebte, wurde von ihrem Trainer mit einem Fisch immer dann belohnt, wenn sie Müll an den Beckenrand brachte. Sie nutzte dieses System aus, indem sie einen Zettel unter einem Stein versteckte und immer nur ein Stück davon abriss, wenn sie Lust auf Fisch hatte. Als sie eine tote Möwe im Becken fand, bekam sie natürlich einen Fisch. Den fraß sie aber nicht, sondern nutzte ihn, um weitere Möwen anzulocken. Die Vögel tötete sie dann, um die Kadaver gegen Fisch einzutauschen.

Menschen verzehren pro Jahr das Fleisch von 1,5 Milliarden Schweinen. Dabei verfügt dieses Tier über hochentwickelte kognitive Fähigkeiten, benutzt Werkzeuge und kann sogar auf Videospielen trainiert werden. In Bezug auf Gedächtnis und Kombinationsgabe sind Schweine mindestens so leistungsfähig wie Hunde und Kleinkinder.

Dies sind nur wenige der faszinierenden Beispiele aus der Tierwelt, die Taylor für ihr Buch zusammengetragen hat. Es ist inhaltlich überzeugend und wird dabei getragen von der Begeisterung der Autorin, die zudem in zugänglicher und verständlicher Sprache schreibt. Auch die Gestaltung ist sehr ansprechend: Jedes Tier wird mit einem bis zu dreiseitigen Text präsentiert, dem eine prachtvolle ganzseitige Farbfotografie vorangestellt ist.

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