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»Was wäre, wenn wir mutig sind?«: Klimaerzählung mit Emotionen

Auch wenn sich die Klimakrise vielleicht nicht mehr aufhalten lässt: Ohne Engagement wird nichts besser. So das Credo von Luisa Neubauers lesenswerter Streitschrift.

Wird aus dem Klimawandel die ganz große Klimakrise? Das weiß niemand – aber wahrscheinlicher wird dies jedes Mal, wenn Fakten geleugnet werden oder Menschen resignieren, weil sie sich hilf- und machtlos fühlen. Genau dagegen schreibt Luisa Neubauer, Geografin und eine der weltweit bekanntesten Klimaaktivistinnen der jüngeren Generation, in ihrem Buch an. Es ist eine Streitschrift; die Vermittlung von Informationen zum Klima steht also nicht im Vordergrund. Vielmehr schreibt Luisa Neubauer erfrischend kämpferisch, eröffnet neue Sichtweisen, etwa auf das Wirtschaftswunder, und erklärt, warum Fakten oft kaum eine Chance haben, wahrgenommen zu werden. Also setzt sie auf Erzählungen – mit Emotionen und persönlichen Erfahrungen.

So startet das Buch im Wohnzimmer vor dem Bücherregal ihrer Großmutter Dagmar Reemtsma. Dort sieht sie die reichhaltige Klimaliteratur eines halben Jahrhunderts, etwa Titel aus den 1970er Jahren wie »Small is beautiful« oder »Haben oder Sein« von Erich Fromm, außerdem »Wir Klimamacher« von Hartmut Graßl und Reiner Klingholz aus dem Jahr 1990, das Klimaschutztipps für den Alltag bereithält. Ihre Oma ist gut informiert, sie kämpft schon seit Jahrzehnten als Umwelt- und Friedensaktivistin. Mit diesem bildhaften Einstieg will Luisa Neubauer wohl zeigen: Das Wissen um die Klimakatastrophen ist nicht neu. »Alles schien auf dem Tisch zu liegen, zu klar und zu deutlich, um nur eine Sekunde länger ignoriert zu werden«, schreibt sie. Der Mangel, der die Kindheit ihrer Oma prägte, sei jetzt in Maßlosigkeit umgeschlagen. Mit gravierenden Folgen: Sieben von neun quantifizierbaren Erdsystemgrenzen seien überschritten, etwa die für Artensterben, Klimaerhitzung und Umweltzerstörung.

Luisa Neubauer geht der Frage nach, warum die schon lange drohende Klimagefahr die Menschen immer noch nicht zu echten Veränderungen bewogen hat. Einen Grund dafür sieht sie darin, dass sich die Klimaforschung von Anfang an gegenüber den großen Marketingkampagnen der Öl- und Kohleindustrie kommunikativ kaum behaupten konnte. Oder sie greift auf Studien aus der Politikwissenschaft zum Begriff der »Banalität« zurück. Er beschreibt ein Verhalten von Menschen in Wirtschaft und Politik, die ihre Karriere priorisieren, also etwa in der fossilen Industrie weiterhin »einfach ihren Job machen«, weil sie es so gelernt haben und es so von ihnen erwartet wird.

Was bedeutet die Klimakrise für unser zukünftiges Zusammenleben?

Wissenschaftliche Erkenntnisse und Studien kommen also sehr wohl vor, werden aber meist in persönliche und emotionale Geschichten eingebunden. So steht die Autorin nicht nur staunend vor dem Bücherregal ihrer Großmutter, sondern berichtet auch von Schlammeinsätzen in Slowenien, einem ausgefallenen Kindergeburtstag, vom Wasser im eigenen überfluteten Keller oder vom Genuss gerösteter Auberginen. Kämpferisch und immer voller Hoffnung schreibt Neubauer gegen das lähmende Gefühl an, dass man gegen die großen Krisen der Welt mit kleinen Taten nichts ausrichten könne. Und sie betont, dass Widerstand und Veränderungen nicht nur mit Verzicht und Mühe verbunden seien, sondern auch »mit Spaß im Engagement, mit Leichtigkeit und Humor, mit einem Sich-nicht-immer-zu-ernst-Nehmen« einhergehen.

Einige ihrer Thesen sind provokant, andere klug, manchmal klingt resignative Ironie durch, und viele Themen reißt sie nur kurz an – das Buch lässt also genug Raum für Diskussionen. Und zu diskutieren sei definitiv besser, als in resignative Agonie zu verfallen. Gerade jetzt wäre es, so Neubauer, der größte Fehler, gar nichts zu tun. Denn auch wenn die Klimakrise vielleicht nicht mehr aufzuhalten sei: Jetzt seien wir dafür verantwortlich, wie die Welt in Zukunft aussehe; ob auch trotz Klimakrise noch Menschenleben respektiert oder Freiheiten verteidigt werden; ob angesichts einer möglichen Katastrophe Gesellschaften den Weg der Spaltung und Abschottung einschlagen oder eine neue weltweite Solidarität entstehe.

Eines gelingt Luisa Neubauer: Ihr Buch liest sich spannend. Manche Passagen bieten sich auch für ein genaueres Nachlesen an. Und sicher hofft der eine oder andere Leser nach der Lektüre, dass dieses Buch nicht unbeachtet im Regal verstaubt und dann erst wieder von den eigenen Enkeln hervorgeholt wird.

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