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Die Gretchenfrage der Naturforschung

Eingangs legt der Autor in einer autobiografischen Skizze ein Bekenntnis zum religiösen Unglauben ab, den sein Studium der exakten Wissenschaften geprägt hat. Umso mehr wundert ihn, wie oft Forscher die eine oder andere Form eines Gottesglaubens vertreten haben. In einer abwechslungsreichen Zusammenstellung von Forscherporträts, von Johannes Kepler (1571–1630) bis Stephen Hawking (* 1942), geht Fischer der Frage nach, ob und wie sich Glaube und Wissen vertragen können.

Da Kepler und Isaac Newton (1643–1727) in einer politisch und ideologisch vom Christentum beherrschten Epoche lebten, stützten sie ihre wissenschaftlichen Resultate – ob aus Opportunismus oder Überzeugung – gelegentlich mit religiösen Argumenten. Ihr Gott sorgte quasi von Weitem für die allgemeine und ewige Geltung der Naturgesetze. Zudem wurde mindestens Newton, was Fischer nicht erwähnt, wohl durch alchemistische Spekulationen auf die Idee gebracht, irdische und astronomische Vorgänge gehorchten denselben Regeln. (Kleiner Einwand: Bei der Erwähnung von Newtons Kraftgesetz sind Indizes und Potenzen im Text nicht tief- beziehungsweise hochgestellt, sondern gleichermaßen glatt hinter die Buchstabensymbole für Masse und Abstand gereiht, was nicht zum Verständnis beiträgt.)

Religion als Selektionskriterium

Hingegen durchlebte Charles Darwin (1809–1882) einen tiefen persönlichen Konflikt zwischen dem Glauben an einen Schöpfer und der "Entstehung der Arten durch natürliche Selektion", so sinngemäß der Titel seines Hauptwerks. Sogar für einen fernen Erbauer des natürlichen Uhrwerks wurde der Platz jetzt knapp; und wenn es dennoch einen Weltenlenker gab, dann war er, wie die neuen Erkenntnisse ergaben, kein liebevolles Wesen, sondern ein brutaler Verschwender von Lebewesen im Kampf ums Dasein. Umgekehrt erschien unter evolutionären Gesichtspunkten die Religion selbst als eine Art frühe soziale Mutation, die als moralischer Stabilisator einer Gruppe Überlebensvorteile verschafft.

Im 20. Jahrhundert oszillierte die Haltung großer Forscher zur ewigen Gretchenfrage zwischen den Extremen von Atheismus und vagem Gottesglauben, fast immer ohne Bekenntnis zu einer Weltreligion. Wenn Wissenschaftler Gott im Mund führten, wie Albert Einstein (1879–1955) mit dem berühmten Satz "Gott würfelt nicht", dann meinten sie ein Synonym zu Natur, gemäß der Äußerung des von Einstein hoch geschätzten Philosophen Baruch de Spinoza (1632–1677) "deus sive natura".

Mystisch-unbewusste Zustände

Bei einigen porträtierten Forschern äußerte sich der Glaube als diffuses Gefühl ehrfürchtigen Schauderns angesichts der großen Bereiche, von denen man (noch) nichts Genaues wusste. Fischers heimlicher Held ist der österreichische Physiknobelpreisträger Wolfgang Pauli (1900–1958), dessen geradezu geniales Gespür für quantenphysikalische Zusammenhänge in späteren Jahren von wachsender Unzufriedenheit mit exakter Wissenschaft überschattet wurde. Pauli geriet in eine Lebenskrise, begab sich in die Behandlung des Psychoanalytikers C.G. Jung (1875–1961) und beschrieb unter dessen Einfluss mystisch-unbewusste Zustände als notwendige Ergänzung rationaler Erkenntnis. Was immer man von solchen Ideen halten mag, sie haben jedenfalls mit Gott und Religion – die Pauli dezidiert ablehnte – nichts zu tun.

Ein interessanter Fall, den Fischer nicht erwähnt, ist der bekanntere österreichische Physiknobelpreisträger Erwin Schrödinger (1887–1961), dessen ganz originelle, aber weitgehend unbekannte Naturphilosophie sich an buddhistische Vorstellungen anlehnte und eine eigentümliche Identität von Ich und Natur postulierte. Wenn auch das eine Religion sein sollte, dann eine ohne Gott und Jenseits.

Bei manchen Porträts wirkt der Bezug zur Gretchenfrage so sehr an den Haaren herbeigezogen, dass der Verdacht entsteht: Sie dient Fischer eher als Vorwand, Kurzfassungen seiner zahlreichen anderen Bücher aneinanderzureihen. Zwar wäre es vielleicht zu viel verlangt, dass der Autor zum Verhältnis von Glaube und Wissen eine erkennbare eigene Position beziehen solle, aber er versucht wirklich penetrant, es fast allen recht zu machen. Von bekennenden Atheisten wie Stephen Hawking und dem Biologen Richard Dawkins distanziert er sich eilfertig, um am Ende dem Zeitgeist mit beliebigen Leerformeln über das große Unbekannte hinterherzuschwurbeln.

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