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»Wer stört, muss weg!«: Eine Anklage, der die Argumente fehlen

Die Autorinnen wollten einen Beitrag zur wichtigen Debatte um Wissenschaftsfreiheit leisten. Ihr Buch ist aber zum Beispiel dafür geworden, warum sie oft misslingt.

In diesen medial aufgewühlten Zeiten rücken Universitäten zunehmend ins Zentrum der Aufmerksamkeit, die Wissenschaftsfreiheit scheint gefährdet. Protestcamps von Studierenden oder das Niederbrüllen von unliebsamen Vortragenden sind an der Tagesordnung. Zuletzt hat die Prüfung von Förderanträgen durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung dazu geführt, dass sich der Ton sogar bei Diskussionen innerhalb der etablierten Professorenschaft verschärft hat. Gleichzeitig zählt Deutschlands Wissenschaftsbetrieb laut AFI-Index (»Academic Freedom Index«) zu den freiesten der Welt. Was läuft hier falsch?

Zur Beantwortung dieser Frage liefert das Buch von Heike Egner und Anke Uhlenwinkel Anhaltspunkte – wenn auch auf eine Weise, die von den Autorinnen so sicher nicht beabsichtigt war. Denn es fügt sich nahtlos ein in die Logik überhitzter Debatten zur Wissenschaftsfreiheit: Es argumentiert fast durchgehend polemisch, seine Faktenbasis ist dagegen furchtbar dünn. Die Autorinnen schreiben als Betroffene, sind dabei aber nicht in der Lage, eine professionelle Distanz zum Thema einzunehmen. Zum Hintergrund: Heike Egner wurde rechtsgültig von der Universität Klagenfurt entlassen, Anke Uhlenwinkels Stelle ist von der Universität Potsdam nicht entfristet worden – nach Angaben des Verlags »mithilfe eines im Hochschulgesetz nicht kodifizierten Verfahrens«.

Die den konkreten Argumenten der Autorinnen zu Grunde liegende Faktenlage ist unbefriedigend, ebenso fehlen offizielle Statistiken, die sie in ihrer Tendenz stützen könnten. Nach eigenem Bekunden haben sie 61 Fälle von Entlassungen und Degradierungen von Professorinnen und Professoren durch Wissenschaftsinstitutionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz für die letzten 20 Jahre dokumentiert – von den insgesamt etwa 60 000 Fällen ist das gerade mal 1 Promille. Auf dieser Basis lässt sich weder eine Tendenz begründen noch kann von einem massenhaften Vorkommen die Rede sein. Und der Blick in die von den Autorinnen zitierten Quellen offenbart, wie unsicher selbst die Zahlen sind, die sie vorlegen: Sie stammen aus der Selbstdokumentation Betroffener im »Netzwerk entlassener Professorinnen« (NEP) auf »X« (vormals »Twitter«).

Daraus entwickeln Egner und Uhlenwinkel Begründungen, die zum Teil schwammig, zum Teil fehlerhaft und darüber hinaus oft mit allseits bekannten Stereotypen unterlegt sind, wenn sie etwa die Identitätspolitik, das Gendern, den »alten weißen Mann«, die Generation Z, »die Medien« oder anonyme Verleumdungen anführen. Zudem beklagen sie fehlende Drittmittel aus öffentlicher Hand als Hindernis für die Wissenschaftsfreiheit und als Grund dafür, dass »unbequeme Forschung« verhindert werde; dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) der größte öffentliche Drittmittelgeber in Deutschland ist und diese selbstverwaltet vergibt, würdigen sie nicht.

Pauschalurteile statt differenzierter Analysen

Nun gab es tatsächlich in den letzten Jahren eine Reihe von Fällen, die öffentlich bekannt wurden und zum Teil heftige Spekulationen auslösten. Manche Entlassungen wurden gerichtlich (zumindest in erster Instanz) bestätigt wie die von Ulrike Guérot durch die Uni Bonn wegen »Pflichtverletzung der Klägerin durch Täuschung«, sprich: Plagiaten. Andere Auseinandersetzungen wurden intern gelöst. Zudem reagierten Institutionen wie die Max-Planck-Gesellschaft mit der Überarbeitung ihrer internen Regularien. Und es gibt Fälle wie den des Kommunikationswissenschaftlers Michael Meyen (LMU München), die sehr wohl Anlass zu der Frage geben, wie weit die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit geht; Meyen hatte in einem Medium der sogenannten Querdenkerszene publiziert. Die Autorinnen zitieren mehrfach Artikel 5, Absatz 3, des Grundgesetzes, dem zufolge »Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre« frei sind; sie versäumen dabei aber, den direkt folgenden Satz zu betonen: »Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.«

Egner und Uhlenwinkel spekulieren mit Blick auf einige von ihnen dokumentierte Fälle auch über eine allgemeine Erwartung, dass Frauen ein besseres Verhalten als Vorgesetzte an den Tag legten – die dann dazu führe, dass ihnen schneller Mobbing und Fehlverhalten unterstellt würden als Männern; sie verweisen dabei auch auf Thomas Sattelberger (FDP, bis 2022 parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung), der die mangelhafte Führungskultur in wissenschaftlichen Institutionen deutlich kritisiert hat.

Aber da die Autorinnen viel zu oft Ross und Reiter nicht nennen, allgemein bekannte Fälle anonymisieren und diese letztlich nur für einen polemischen Rundumschlag gegen die Wissenschaft nutzen, verpuffen auch solche potenziell produktiven Verweise. Indem Egner und Uhlenwinkel fehlende Rechtsstaatlichkeit beklagen, ohne die entsprechenden Gerichtsurteile zu analysieren, und vieles »an den Hochschulen« pauschal mit der »Aushöhlung der Verfahren auch durch ihren Umbau hin zu Unternehmen sowie […] Veränderungen aufgrund des Bologna-Prozesses« in Verbindung bringen, entwerten sie wichtige Themen, die tatsächlich genaue Analysen und zurechenbare Argumentationen verdienen.

Eine Anfrage der AfD zu der 2021 von den beiden Autorinnen veröffentlichten Studie »Entlassung und öffentliche Degradierung von Professorinnen« hat das Baden-Württembergische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst 2024 wie folgt beantwortet: Ihr »Erkenntniswert« sei »in Frage zu stellen«, und sie erscheine »mit Blick auf die Gebote wissenschaftlicher Redlichkeit sehr problematisch, insbesondere wird den Prinzipien der Fachkompetenz, der Objektivität und der rationalen Methodik nicht ausreichend entsprochen. Die Verfasserinnen versuchen sich darin, dienstrechtliche Verfahren an Hochschulen zu analysieren. Sie sind aber weder Juristinnen noch Verwaltungswissenschaftlerinnen, sondern Geographinnen. Ihre mangelnde Sachkenntnis zeigt sich in terminologischen Unsicherheiten, Vagheiten und grundsätzlichen Fehlvorstellungen über die bestehende Rechtsordnung.« Dem ist auch mit Blick auf das vorliegende Buch wenig hinzuzufügen.

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