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»Wie eine verrückte Ameise die Welt verändern kann«: Der Mensch und das Tier

Der Historiker und Förster Arjan Postma beleuchtet die Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier. Und erklärt, warum eine Ameise ein Anfang sein kann. Eine Rezension
Ameise

Der Niederländer Arjan Postma – Historiker, Moderator und Förster – hat sein viertes Buch geschrieben. Es trägt den Titel »Wie eine verrückte Ameise die Welt verändern kann – und andere erstaunliche Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier«. In 24 Kapiteln nimmt sich der Autor dessen an, was uns mit anderen Lebewesen verbindet. Durch kurze Porträts bekommen die beschriebenen Tierarten ein Gesicht. Präzise zeichnet er in ihnen menschliche Eigenschaften nach und arbeitet heraus, welche tierischen Attribute sich auch heute noch in uns Menschen finden lassen.

Da ist zum Beispiel die Ameise. Genau wie wir lebt sie in komplexen sozialen Gefügen, pflegt Beziehungen zu anderen Ameisen in ihrem Staat und füllt vielschichtige Funktionen in der Gemeinschaft aus, denn ein Ameisenstaat funktioniert im Kollektiv. Doch manchmal kommt es auf nur ein einzelnes Wesen an, etwa wenn es gilt, neue Wege zu beschreiten.

Eine Ameise macht den Anfang

Ameisen orientieren sich an Geruchsspuren aus Pheromonen. So bilden diese dicht verzweigte Pfade – die ganze Kolonie folgt ihnen auf ihren täglichen Strecken, bis sie das Ende einer Duftspur erreichen. Hier braucht es »die verrückte Ameise«, welche die Duftgrenze überquert und sich traut, einen neuen Weg zu gehen. Sie führt die Spur fort, die anderen folgen ihr. Das Ameisenvolk entdeckt so neue Futterquellen oder legt neue Wege an, wenn alte versperrt oder zerstört sind. Postma findet in dieser »verrückten Ameise« ein trennscharfes Bild für unsere heutige Zeit: Manchmal braucht es bloß einen Anfang, und etwas Neues kommt in Bewegung.

In einem anderen Kapitel geht der Autor der Frage nach, was den Ton der Natur ausmacht. Die raschelnden Blätter in den Baumkronen, Zweige, die im Wind knarzen, und schließlich die verschiedenen Sprachen der Tiere. Postma arbeitet heraus, was eine Sprache überhaupt zur Sprache macht. Sie setzt sich aus kleinen Bausteinen zusammen, muss flexibel sein, muss eine Grammatik haben. Und: Sprache muss nicht gesprochen, sondern kann auch getrillert, gebrüllt oder gebärdet werden. So gilt die Sprache der Bienen, mit der die Tiere durch Gerüche und Bewegungen kommunizieren, als eine der ältesten der Welt. In ihren Bienentänzen informieren sie ihr Volk über neue Nektarquellen oder Gefahren. Diese Tänze geben nicht nur die Flugrichtung an, in der sich Nahrung oder eine potenzielle Gefahr befindet, sondern auch den Flugwinkel zur Sonne. Der Buckelwal kommuniziert hingegen über Gesang, der kilometerweit zu hören ist. Ein einziges Lied kann dabei bis zu einer Dreiviertelstunde dauern. Unterwassermikrofone haben inzwischen ganze Klangbibliotheken aufgezeichnet. Die stimmliche und inhaltliche Komplexität der Buckelwalgesänge ist extrem vielfältig, sie brummen, wimmern und pfeifen.

Postma arbeitet weitere Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier heraus, etwa Empathiefähigkeit. Empathie sorgt für Harmonie innerhalb einer Gruppe, die den Einzelnen stärker macht. Egal ob Familie, Rudel oder Herde – ohne Empathie füreinander funktioniert das Leben innerhalb einer Gemeinschaft nicht. So beschreibt Postma, dass eine Elefantenherde oft tagelang Totenwache an dem Ort hält, wo sie ihr Herdenmitglied verloren hat. Auch Monate später kehren die Dickhäuter zurück, wenn nur noch die Gebeine des ehemaligen Mitglieds übrig sind. Wenn man solche Zeilen liest, fragt man sich vielleicht, ob uns Menschen die Rückbesinnung auf einige tierische Eigenschaften gut tun würde.

Menschen haben sich viel von der Tierwelt abgeschaut, auch in der Technik. Die aerodynamische Form der Schiffe empfinden Ingenieure beispielsweise dem Delfin nach. Durch diese verringert sich der Wasserwiderstand. Enten verfügen über eine Fettschicht in ihrem Gefieder, wodurch ihre Haut im Wasser trocken bleibt und beim Schwimmen Auftrieb entsteht. Auch wir machen unsere Jacken wasserdicht, indem wir sie mit Paraffinwachs behandeln. Moderne Roboter orientieren sich hingegen an den Eigenschaften eines Elefantenrüssels, der keine Gelenke besitzt und nur durch Muskelkraft funktioniert, wodurch er besonders flexibel einsetzbar ist.

Zurück zu den Bienen: In einem Bienenstock leben bis zu 60 000 Tiere. Wird der Nektar in einer Region knapp, kann es zu Kämpfen mit benachbarten Bienenvölkern um den Honig kommen. Ist ein Stock beschädigt oder geschwächt, strömen die Bienen in den fremden Stock und attackieren das Volk. Die Eindringlinge überlagern schließlich den Nestgeruch mit ihrem eigenen und übernehmen den fremden Stock. Die Bienen, die nicht durch die Kämpfe sterben, müssen sich dem fremden Volk anschließen. Diese Art der Kriege erinnert stark an menschliches Verhalten.

Insgesamt kann man Postmas Buch allen Personen ans Herz legen, die Mechanismen menschlicher Instinkte auf den Grund gehen wollen, aber ebenso unsere Verhaltensweisen im Tier entdecken möchten. In einem populärwissenschaftlichen Stil führt er anschaulich an naturwissenschaftliche Phänomene heran, durch die man mehr über die Natur, Tiere und vor allem uns selbst lernen kann.

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