»Wie es euch gefällt«: Brillanten und Blumentapete
»Mit dem guten Geschmack ist es ganz einfach: Man nehme von allem nur das Beste.« So beantwortet Oscar Wilde (1854–1900) mit der für ihn typischen Ironie die wichtigste Geschmacksfrage: Was macht ihn aus? Während viele guten Geschmack zu erkennen vermögen, verfügen nur die wenigsten selbst darüber. Wie kommt das?
Ulrich Raulff, deutscher Historiker, Autor, Feuilletonist und bis Mitte 2025 Präsident des »Instituts für Auslandsbeziehungen«, geht dieser Frage nach. Seine 480 Seiten starke Textsammlung ist nach drei einleitenden Essays in drei Abschnitte mit jeweils sieben Kapiteln gegliedert. In diesen widmet er sich zunächst der Genese des Geschmacks (»Making Taste«), nimmt dann das Unterlaufen und die Veränderung desselben durch den Kapitalismus in den Blick (»Kaufhaus des Westens«), um das Phänomen schließlich zu analysieren und zu erforschen (»Durchsichtige Dinge«).
Die drei einleitenden Essays gehen gleich in medias res und wirken eher wie eine Art »Close Reading« des Films »Frühstück bei Tiffany«, der sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Die Selbstsicherheit, die wie bei dessen Hauptfigur Holly Golightly jeden guten Geschmack kennzeichnet, macht sich so auch Raulffs Werk zu eigen. Gleichzeitig wird dem Leser schnell klar: Das hier ist keine leichte Kost. Der Verfasser verknüpft gleich auf den ersten Seiten Gedanken von Truman Capote (Autor des dem Film zu Grunde liegenden Buchs, 1924–1984), Hans-Georg Gadamer (Philosoph, 1900–2002), Johann Joachim Winckelmann (Archäologe, Bibliothekar, Antiquar und Kunstschriftsteller, 1717–1768) und Susan Sontag (Autorin und Kulturkritikerin, 1933–2004).
Anspruchsvolle Schönheit
Wer mit den vielen Querverweisen zurechtkommt, erhält allerdings einen umfassende Überblick über das Thema. Außerdem erfährt man viel über die historischen Veränderungen des Geschmacks, wenn Raulff künstlerische, aber auch industrielle und institutionelle Meilensteine seiner Entwicklung erläutert. So bespricht der Autor etwa die Weltausstellung 1851 in London. Mit ihren Exponaten prägte sie die globale Geschmacksentwicklung maßgeblich, und im Nachgang zu ihr entstanden – unter anderem durch den Einfluss von Königin Victoria – Institutionen des Geschmacks wie das später nach ihr und ihrem Gemahl benannte Londoner »Victoria and Albert Museum«.
Der Stil des Buchs ist eine seiner großen Stärken. Auch wenn es begrifflich dem philosophisch und historisch weniger vorgebildeten Leser mitunter etwas abverlangt, liest sich »Wie es euch gefällt« doch immer beschwingt, bisweilen gar jubilierend und reißt den Leser immer wieder mit. Die Vielfalt der gedanklichen Einflüsse wirkt manchmal postmodern eklektisch, doch die schöne Sprache und die vielen im Buch enthaltenen Bilder erleichtern das Verständnis erheblich. Besonders gelungen sind die vielen kleinen Einschübe, etwa ein neben einem Beispiel für englische Tapeten abgedrucktes Gedicht Christian Morgensterns zu ebenjenem Wandschmuck. Das lockert den Abschnitt zur Entstehung eines ersten Bewusstseins für Industriedesign auf und unterstreicht zugleich das Argument Raulffs: Durch die optische Aufwertung von Alltagsgegenständen vollzog sich eine Ablösung des Transzendenten von der Schönheit – etwas, das in der klassischen Ästhetik undenkbar war. Die darin liegende Ironie und der so entstehende Witz sind leuchtende Beispiele für das tiefe Verständnis des Autors für sein Sujet.
»Wie es euch gefällt« ist ein Glanzstück der Essayistik. Es ist zwar nicht immer leicht zu lesen, wird aber jedem, der ein wenig Geduld aufbringt, neben fundiertem Wissen auch großes sprachlich-ästhetisches Vergnügen bereiten.
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