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Mein Pillen-Ich

Eine Psychologin klärt über weniger bekannte Nebenwirkungen der Antibabypille auf.

2020 feiert die Antibabypille ihren 60. Geburtstag. Als eines der meistbenutzten – und zuverlässigsten – Verhütungsmittel hat sie in den vergangenen Jahrzehnten das Leben von Frauen weltweit verändert. Dass mit ihrer Einnahme auch einige unerwünschte Wirkungen einhergehen, dürfte den meisten Anwenderinnen bekannt sein. Dass diese allerdings weit über körperliche Aspekte wie Gewichtszunahme oder ein erhöhtes Risiko für Thrombosen und Schlaganfälle hinausgehen, wohl eher nicht. Und hier kommt Sarah E. Hill ins Spiel.

In ihrem aktuellen Werk schildert die Evolutionspsychologin ausführlich, wie die Pille unser Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Denn Hormonrezeptoren finden sich in zahlreichen Zellen unseres Körpers. Östrogene und Progestine, die in den meisten Pillen kombiniert enthalten sind, steuern nicht nur unsere Empfängnisbereitschaft, sondern etwa auch unsere Libido, unsere Vorlieben bei der Partnerwahl, unsere Stimmung, unser Geruchsempfinden und unsere Wirkung auf andere. Welche Folgen es mit sich bringen kann, wenn man den Pegel der beiden Botenstoffe dauerhaft hoch hält, macht Hill in ihrem Buch deutlich.

Eingriff mit weit reichenden Folgen

Dieses ist in drei Abschnitte unterteilt, die allesamt sehr verständlich, mitunter sogar recht frech geschrieben sind. Zunächst widmet sich die Autorin den biologischen Grundlagen und erklärt, was Hormone (und vor allem Sexualhormone) im weiblichen Körper bewirken, wie sich diese im Ovulationszyklus verändern und welche Konsequenzen das hat. Anschließend beschreibt sie, wie die Pille in dieses Geflecht eingreift. Und zuletzt geht es dann sozusagen um das große Ganze, also um die Auswirkungen der hormonellen Verhütung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene.

Die These, die Hill vertritt, wird dabei gleich zu Beginn klar: Die Pille verändert alles! Sie einzunehmen oder abzusetzen, kann das Empfinden für unser Selbst beeinflussen, mitunter sogar unsere ganze Identität auf den Kopf stellen. Das untermalt sie eindrucksvoll mit Geschichten wie der von ihrer Freundin, die nach dem Wechsel des Präparats plötzlich eine psychotische Episode erlebte. Oder mit dem Fallbericht der 23-jährigen Anneliese, die nach dem Absetzen der Pille ihre Lust auf Shoppen und Sport wiederentdeckte, zwei Kilo abnahm, sich die Brüste vergrößern ließ und ihrem Freund den Laufpass gab. Die Autorin wird zwar nicht müde zu betonen, dass sie ihren Leserinnen nicht pauschal von der Einnahme der Pille abraten, sondern ihnen lediglich alle wichtigen Fakten an die Hand geben will, damit diese selbst eine informierte Entscheidung treffen können. Dennoch schwingt an solchen Stellen zumindest zwischen den Zeilen immer ein großes »Aber« mit.

Diese klare Linie ist zugleich die größte Schwachstelle des Buchs. Denn obwohl unsere Hormone natürlich einen großen Einfluss auf unser Verhalten haben, bestimmen sie es nicht ausschließlich. Zu glauben, dass man nur den richtigen (oder falschen) Botenstoff zuführen müsse, um die Persönlichkeit und Vorlieben einer Person umzukrempeln, wird der Komplexität unseres Körpers und allem, was Forscher bislang über das Zusammenspiel von genetischen und Umweltfaktoren wissen, nicht einmal ansatzweise gerecht.

Ihre Fixierung auf die Macht der Hormone verleitet Hill gelegentlich sogar dazu, medizinisch zweifelhafte Ratschläge zu erteilen. So empfiehlt sie, die Pille zwischendurch immer mal wieder abzusetzen, um sein »Nicht-Pillen-Ich« besser kennen zu lernen. Dabei ignoriert sie die Tatsache, dass das Thromboserisiko gerade zu Beginn der Pilleneinnahme am stärksten erhöht ist. Wechseln Frauen ständig zwischen der Pille und anderen Verhütungsmitteln hin und her, könnte das also gefährliche Folgen haben, welche die meisten Anwenderinnen nicht auf dem Schirm haben dürften.

Über die Vor- und Nachteile der Antibabypille wird seit einigen Jahren wieder rege diskutiert. Hills Buch liefert insgesamt einen guten Überblick über das, was Psychologie und Hirnforschung zu dieser Debatte beitragen können. Am Ende muss jede Frau selbst entscheiden, inwiefern das, was die Evolutionspsychologin beschreibt, sie bei der Wahl ihres Verhütungsmittels beeinflusst. In Panik sollte man jedoch nicht verfallen. Denn Hill hat zwar Recht, wenn sie sagt: Wir sind unsere Hormone. Aber wir sind eben auch noch so viel mehr.

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